Was vom Apfelkuchen übrig blieb
Ach, Betsy dieses Geschenk wird dich überaus entzücken. Mittlerweile ist in meinem Umfeld wohl bekannt, wie talentiert ich bei der Geschenkvergabe bin. Wenn ich diese Schleife noch richtig… ja, so sieht es perfekt aus. Oh nein, schon 10 Uhr? Jetzt muss ich mich beeilen, sonst komme ich schon wieder zu spät. Und eine Lady sollte sich nicht zu oft verspäten.
Ich muss mich nur noch einmal frisch machen. Die Zeit soll mir noch erlaubt sein. Meine Haut könnte wirklich besser aussehen. Ich habe das Gefühl, die Falten vermehren sich mit jedem Lachen. Noch schnell eine Schicht UV Creme auftragen, dann gehe ich aber wirklich los.
Ich muss es mir wohl eingestehen: ich bin offiziell eine ältere Dame, selbst das lange, bereits ergraute Haar lässt mich nicht jünger erscheinen. Ich wünschte, die Zeit könnte wie in Dalis Werk einfach zerschmelzen. Jede Uhr würde aufhören zu ticken und meine Haut würde nicht bemerken, wie jede Sekunde an ihr vorbeischnellt. Dann könnte selbst ich pünktlich zu unseren wöchentlichen Treffen erscheinen.
Meine Freunde warten schon in unserem Stammcafé auf mich. Als sie mich im Fenster anmarschieren sehen, winken sie mir energisch zu. Ich deute an, dass sie es lassen sollen, mein Gott, ich weiß doch wo wir immer sitzen. Trotzdem lache ich jedes Mal.
Mir fällt auf, dass ich das Geschenk für Betsy heute Morgen vergeblich eingepackt habe, denn sie ist gar nicht da. Wie schade. Die anderen wissen auch nicht, wo sie ist. Sie ist sonst immer die Pünktlichste. Wahrscheinlich gesellt sie sich später doch noch zu uns. Eigentlich wollte ich ihr das Geschenk zum 87. Geburtstag noch heute geben, weil ich an diesem Wochenende auf einer Ausstellung in London bin. Ich gebe es einfach einer der anderen mit, die überreicht es ihr dann.
Nach dem Brunch besuche ich mein Atelier. Mein Manager ruft mich wegen einer dringenden Besprechung zu sich. Also lasse ich meinen Pinsel auf der Farbpalette liegen und fahre zu ihm. Meist besprechen wir die wichtigen Dinge in seinem Heimbüro.
Als ich eintrete sehe ich eine Frau, die versucht ein Marmeladenglas zu öffnen.
„Kann ich Ihnen helfen?“, frage ich. Die Frau nickt und überreicht mir wortlos das Glas. Ich öffne es und sie bedankt sich bei mir. Dann widmet sie sich wieder den Berlinern, die sie wohl frisch gemacht hat, zu. Sie füllt einen Spritzbeutel mit der Marmelade und sticht in einen der Berliner ein. Aus irgendeinem Grund, bin ich fasziniert dieser Dame zuzusehen. Sie wirkt vollkommen fokussiert auf ihre Arbeit, ganz in sich gekehrt. Ich glaube, sie hat mich noch nicht einmal bemerkt, als ich durch die Tür kam. Ihr Mann marschiert in die Küche und winkt mich sofort rüber in sein Büro. Er erzählt mir von dem neuesten Vertrag, den er aufgesetzt hat. Ich unterschreibe ihn, verabschiede mich und möchte gerade das Haus verlassen, als mich die Frau meines Managers abfängt und mir einen Karton reicht.
„Ich hoffe, sie schmecken Ihnen“, sagt sie mit einem riesengroßen Lächeln. Ich schaue hinein und sehe sechs wundervoll gefertigte Berliner, die noch ganz warm sind. Ich beiße in einen hinein. Er ist exquisit.
Wieder in meinem trauten Heim angekommen, entledige ich mich der Schminke, die mein Gesicht für den heutigen Tag geschmückt hat und setze mich mit einem grünen Tee auf das Sofa. 16 verpasste Anrufe? Jeder einzelne von einer anderen Freundin. Ich rufe eine der Frauen zurück.
Betsy ist tot.
Es ist nicht immer einfach einen Vollzeitjob und eine 8jährige Tochter zu haben. Trust and Believe. Es ist wirklich verdammt harte Arbeit. Sie will erst das, dann jenes; Kunden wollen jenes, dann das. Manchmal frage ich mich, wie ich überhaupt Zeit dafür finde, mal alleine zu sein. Ach, stimmt ja. Ich habe keine. Abends sitze ich alleine auf meiner Couch, meine Tochter liegt schon im Bett und ich ziehe mir noch Popcorn rein und weine wegen irgendwelchen kitschigen Liebesfilmen. Dann frage ich mich immer ‚Wieso kann ich sowas nicht haben?‘ und versinke ein wenig im Selbstmitleid. Manchmal ist das sogar ganz schön. Und andere Male ist es verdammt hässlich.
Heute Morgen ist eine wichtige Präsentation nicht für mich, sondern für meine Tochter. Sie soll drei Minuten über ihr Lieblingsbuch sprechen. Das haben wir gestern tausend Mal geübt. Ich sage ihr immer wieder, dass es wichtig ist, selbstbewusst zu sein. Und wenn man sich nicht so fühlt, es einfach zu faken. Als Gute Nacht Geschichte lese ich ihr oft aus Chimimanda Ngozi Adichies „Mehr Feminismus!“ vor. Ich möchte, dass sie die richtigen Vorbilder hat und eine Frau auf dem Cover, mit der gleichen Hautfarbe wie unserer, ist ein Vorbild, das ich als Kind gebraucht hätte.
Wir gehen los- sie hat sich ein richtiges Kostüm so richtig mit Bluse und Anzughose ausgesucht. Wie süß! Ich weiß, dass sie heute die beste Präsentation haben wird. Sie hat das Reden immerhin von ihrer Mama abgeguckt, und hello, ich rede total gerne.
Nachdem ich sie in der Schule abgesetzt, ihr noch einmal toi, toi, toi gewünscht und ihr etwas zu lange hinter hergesehen habe, fahre ich zu einer neuen Klientin. Eine Künstlerin, die sich gestern Abend ganz spontan bei mir gemeldet hat. Sie hat mich gefragt, ob ich ihren Manager kenne und Interesse an einer neuen Ausstellung hätte. Da sag ich natürlich nicht nein.
Man, die sieht aber toll aus. Man sieht ihr das Alter an, aber dann wieder nicht. Sie ist fresh gekleidet, ganz in schwarz und bemerkt nicht, wie ich auf sie zukomme. Sie schaut auf ihren Kaffee und rührt ihn gedankenverloren mit einem Löffel um. Als sie mich sieht, setzt sie ein Lächeln auf. Ich gehe mit ihr die üblichen Bedingungen einer Ausstellung durch. Sie willigt ein und unterschreibt. Sie trägt den Namen der Ausstellung ein. „Einsamkeit“ soll sie wohl heißen.
„Haben Sie eines der Bilder, die ausgehangen werden sollen dabei?“
„Ja, aber...na ja, es ist erst eine grobe Zeichnung.“
Ich sehe mir das Bild an. Es ist ein Porträt einer anderen älteren Dame. Genauso edel, wie die Klientin, nur hat diese Frau einen ganz anderen Glanz in den Augen. Richtig magisch.
„Wie wollen Sie es nennen?“ frage ich.
„Betsy“, antwortet sie mir und fragt ob es damit erledigt wäre. Ich sage ihr, dass ich den Rest mit ihrem Manager bespreche und lasse sie gehen. Betsy ist wirklich schön.
Eine Ausstellung über Einsamkeit. Da gibt es ein paar Dinge, die ich beitragen könnte. Trust and Believe.
Mein Gott, hab ich diese Berliner etwa ganz alleine gemacht? Ich bin echt toll! Meine Mama hatte Recht. Liebe geht total durch den Magen. Und mein Magen liebt diese Berliner. Ich habe meinem Mann ein paar eingepackt und auch seiner Klientin welche mitgegeben. Das ist hier in meiner Bäckerei schon fast Tradition.
Ich hoffe, sie haben ihr gefallen. Ich meine, hallo? Wie denn auch nicht. Es ist, als würde man in ein Stück Himmel aus Puderzucker und Marmelade beißen. Auf meiner Tafel steht heute etwas anderes zauberhaftes: Croque en bouche. Das letzte Mal, sind mir ein paar der Bälle herausgefallen und obwohl er gehalten hat, möchte ich ihn dieses Mal bombenfest und perfekt hinbekommen. Also da bin ich ja ganz eigen.
Mein Mann kommt durch die Tür und ich fange sofort an zu lächeln. Irgendwie kann ich gar nicht anders. Sein Lächeln hat sich seit 14 Jahren Ehe nicht verändert. Es ist immer noch das Gleiche des kleinen Bubis, der immer gesagt hat, meine Plätzchen würden seine Welt verändern.
Ich gehe zu meinem Zutatenschrank und hole alles raus, was ich brauche. Beim Backen ist es wichtig, strategisch vorzugehen und jedes kleine Gramm zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu verwerten. Ich bin wie ein Detektiv, der versucht herauszufinden, welche Zutat den Mord an Mrs. Geschmacksexplosion begangen hat. Hahahaha! Ich bin so witzig. Mein Mann starrt mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.
„Warum lachst du denn?“
„Warum nicht?“ frage ich und tanze albern herum. Mein Mann zieht genervt seinen Mantel über und verlässt das Haus. Jetzt sind da nur ich und das Mehl. Gegen den Rest der Welt.
Ich glaube, diese täglichen Selbstgespräche führen nur dazu, dass ich wirklich verrückt werde. Das Karamell für meinen Turm ist richtig gut geworden. Nicht zu fest, nicht zu flüssig. Und es schmeckt echt klasse. Manchmal wünsche ich mir jemanden, der nach Hause rennt, durch die Tür rast und ruft: Mama, mama, was hast du heute gebacken? Und dann den Restteig von meinen Schüsseln ableckt. Wie ein Hund, nur das der Hund ein kleines Kind sein soll. Ich könnte diesem Mini- Menschen, den ich neun Monate täglich bei mir trug, bei den Hausaufgaben helfen, kleine Söckchen stricken und Plätzchen backen, die alles für ein paar Momente am Tag süßer machen.
Ich stelle das Karamell nach draußen, damit es abkühlen kann. Oh man, ich sollte den Rest der Wohnung mal wieder aufräumen. Alles liegt irgendwo rum. Aber so gefällt es mir irgendwie. Nur die Küche muss immer ordentlich und sauber sein. Immerhin ist das mein Arbeitsplatz.
Mein Mann ruft mich an. Er sagt, dass in den nächsten Monaten eine Ausstellung stattfinden soll und er mich für das Catering vorgeschlagen hat. Das ist nichts neues ich bin schon öfter für das Essen der Ausstellungen seiner Klienten verantwortlich gewesen. Ich bin ja auch die beste Bäckerin der Stadt. Hahaha! Ich bin heute echt nicht aufzuhalten!
Ich willige ein und hole mir einen Notizblock, um mir die Wünsche der Klientin zu notieren.
Meine Mama hat gesagt, dass ich heute mit auf eine Ausstellung gehen darf. Also das war am Donnerstag und Freitag hab ich es allen meinen Freunden erzählt. Die waren bestimmt nicht so aufgeregt wie ich. Die dürfen ja auch nicht mitkommen. Aber ich kann das erste Mal sehen, was meine Mama macht, wenn ich nicht bei ihr bin. Heute ist Samstag. Ich glaube, Samstag ist mein Lieblingstag. Da gehen wir immer irgendwohin. Außer wenn meine Mama arbeiten muss. Dann kommt die Tante von nebenan.
Meine Mama hat mir schon rausgelegt, was ich anziehen soll. Eigentlich will ich das gar nicht anziehen. Heute muss ich aber ganz brav sein. Das hab ich Mama versprochen.
Im Auto hören wir Mamas Lieblingsmusik. Areta Frankling oder so. Wir steigen aus und da ist ein riesiges Gebäude das sieht aus wie ein Schloss. Richtig groß! Als wir reingehen, fühle ich mich wie eine Prinzessin aus Büchern, die mir Mama manchmal vorliest, bevor ich schlafe. Aber dann sagt sie immer, dass Frauen gar keine Männer brauchen.
Meine Mama sagt mir, ich soll immer bei einer Frau bleiben, die ein pinkes Kleid anhat. Sie steht bei den Kuchen und sagt mir, ich soll ihr helfen wenn jemand essen will. Sie sieht richtig nett aus. Weil sie richtig schön lächelt. Ich mag sie.
Meine Mama steht auf der großen Bühne, die echt ziemlich groß ist und redet. Ich höre nur ein bisschen zu. Ich bin damit beschäftigt der Frau im pinken Kleid zuzugucken. Nach meiner Mama redet eine Frau, mit richtig langen grauen Haaren. Also, so richtig lang! Vielleicht ist sie ja die Prinzessin hier. Sie hat ein schwarzes Kleid an. Danach klatschen alle und laufen im Raum rum, wo viele Bilder hängen. Meine Mama hat gesagt, sie läuft später auch mit mir rum. Aber bestimmt muss ich mit Tante Pink-Kleid rumlaufen. Sie fragt mich, ob ich ein Stück Apfelkuchen haben will. Ich nicke. Weil Apfelkuchen ist mein Lieblingskuchen. Ich setze mich in die Ecke und esse während Frau Pink-Kleid andere Kuchen an die Leute die rumlaufen verteilt. Irgendwie haben alle schwarze Klamotten an. Nur Frau Pink-Kleid hat ein pinkes Kleid an. Später läuft sie mit mir durch den Raum, so wie die ganzen anderen Menschen das hier machen. Ich gucke mir die Bilder an, die an den Wänden hängen. Ich weiß nicht, wer die gemalt hat, aber die sind besser, als die Bilder von meiner Kunstlehrerin. Und die kann echt gut malen. Die Frau gibt mir am Ende, nachdem sich alle die Bilder viel zu lange angeguckt haben, eine Tüte mit Keksen und den Rest von dem Apfelkuchen mit. Ich sage danke und fahre mit Mama nach Hause.
Mama könnte doch die Freundin von Frau Pink-Kleid sein. Sie war nett. Und die Frau mit den langen Haaren sah so traurig aus. Vielleicht können die drei mal zusammen Apfelkuchen essen.
Ich fände das super.
Ach, Betsy dieses Geschenk wird dich überaus entzücken. Mittlerweile ist in meinem Umfeld wohl bekannt, wie talentiert ich bei der Geschenkvergabe bin. Wenn ich diese Schleife noch richtig… ja, so sieht es perfekt aus. Oh nein, schon 10 Uhr? Jetzt muss ich mich beeilen, sonst komme ich schon wieder zu spät. Und eine Lady sollte sich nicht zu oft verspäten.
Ich muss mich nur noch einmal frisch machen. Die Zeit soll mir noch erlaubt sein. Meine Haut könnte wirklich besser aussehen. Ich habe das Gefühl, die Falten vermehren sich mit jedem Lachen. Noch schnell eine Schicht UV Creme auftragen, dann gehe ich aber wirklich los.
Ich muss es mir wohl eingestehen: ich bin offiziell eine ältere Dame, selbst das lange, bereits ergraute Haar lässt mich nicht jünger erscheinen. Ich wünschte, die Zeit könnte wie in Dalis Werk einfach zerschmelzen. Jede Uhr würde aufhören zu ticken und meine Haut würde nicht bemerken, wie jede Sekunde an ihr vorbeischnellt. Dann könnte selbst ich pünktlich zu unseren wöchentlichen Treffen erscheinen.
Meine Freunde warten schon in unserem Stammcafé auf mich. Als sie mich im Fenster anmarschieren sehen, winken sie mir energisch zu. Ich deute an, dass sie es lassen sollen, mein Gott, ich weiß doch wo wir immer sitzen. Trotzdem lache ich jedes Mal.
Mir fällt auf, dass ich das Geschenk für Betsy heute Morgen vergeblich eingepackt habe, denn sie ist gar nicht da. Wie schade. Die anderen wissen auch nicht, wo sie ist. Sie ist sonst immer die Pünktlichste. Wahrscheinlich gesellt sie sich später doch noch zu uns. Eigentlich wollte ich ihr das Geschenk zum 87. Geburtstag noch heute geben, weil ich an diesem Wochenende auf einer Ausstellung in London bin. Ich gebe es einfach einer der anderen mit, die überreicht es ihr dann.
Nach dem Brunch besuche ich mein Atelier. Mein Manager ruft mich wegen einer dringenden Besprechung zu sich. Also lasse ich meinen Pinsel auf der Farbpalette liegen und fahre zu ihm. Meist besprechen wir die wichtigen Dinge in seinem Heimbüro.
Als ich eintrete sehe ich eine Frau, die versucht ein Marmeladenglas zu öffnen.
„Kann ich Ihnen helfen?“, frage ich. Die Frau nickt und überreicht mir wortlos das Glas. Ich öffne es und sie bedankt sich bei mir. Dann widmet sie sich wieder den Berlinern, die sie wohl frisch gemacht hat, zu. Sie füllt einen Spritzbeutel mit der Marmelade und sticht in einen der Berliner ein. Aus irgendeinem Grund, bin ich fasziniert dieser Dame zuzusehen. Sie wirkt vollkommen fokussiert auf ihre Arbeit, ganz in sich gekehrt. Ich glaube, sie hat mich noch nicht einmal bemerkt, als ich durch die Tür kam. Ihr Mann marschiert in die Küche und winkt mich sofort rüber in sein Büro. Er erzählt mir von dem neuesten Vertrag, den er aufgesetzt hat. Ich unterschreibe ihn, verabschiede mich und möchte gerade das Haus verlassen, als mich die Frau meines Managers abfängt und mir einen Karton reicht.
„Ich hoffe, sie schmecken Ihnen“, sagt sie mit einem riesengroßen Lächeln. Ich schaue hinein und sehe sechs wundervoll gefertigte Berliner, die noch ganz warm sind. Ich beiße in einen hinein. Er ist exquisit.
Wieder in meinem trauten Heim angekommen, entledige ich mich der Schminke, die mein Gesicht für den heutigen Tag geschmückt hat und setze mich mit einem grünen Tee auf das Sofa. 16 verpasste Anrufe? Jeder einzelne von einer anderen Freundin. Ich rufe eine der Frauen zurück.
Betsy ist tot.
Es ist nicht immer einfach einen Vollzeitjob und eine 8jährige Tochter zu haben. Trust and Believe. Es ist wirklich verdammt harte Arbeit. Sie will erst das, dann jenes; Kunden wollen jenes, dann das. Manchmal frage ich mich, wie ich überhaupt Zeit dafür finde, mal alleine zu sein. Ach, stimmt ja. Ich habe keine. Abends sitze ich alleine auf meiner Couch, meine Tochter liegt schon im Bett und ich ziehe mir noch Popcorn rein und weine wegen irgendwelchen kitschigen Liebesfilmen. Dann frage ich mich immer ‚Wieso kann ich sowas nicht haben?‘ und versinke ein wenig im Selbstmitleid. Manchmal ist das sogar ganz schön. Und andere Male ist es verdammt hässlich.
Heute Morgen ist eine wichtige Präsentation nicht für mich, sondern für meine Tochter. Sie soll drei Minuten über ihr Lieblingsbuch sprechen. Das haben wir gestern tausend Mal geübt. Ich sage ihr immer wieder, dass es wichtig ist, selbstbewusst zu sein. Und wenn man sich nicht so fühlt, es einfach zu faken. Als Gute Nacht Geschichte lese ich ihr oft aus Chimimanda Ngozi Adichies „Mehr Feminismus!“ vor. Ich möchte, dass sie die richtigen Vorbilder hat und eine Frau auf dem Cover, mit der gleichen Hautfarbe wie unserer, ist ein Vorbild, das ich als Kind gebraucht hätte.
Wir gehen los- sie hat sich ein richtiges Kostüm so richtig mit Bluse und Anzughose ausgesucht. Wie süß! Ich weiß, dass sie heute die beste Präsentation haben wird. Sie hat das Reden immerhin von ihrer Mama abgeguckt, und hello, ich rede total gerne.
Nachdem ich sie in der Schule abgesetzt, ihr noch einmal toi, toi, toi gewünscht und ihr etwas zu lange hinter hergesehen habe, fahre ich zu einer neuen Klientin. Eine Künstlerin, die sich gestern Abend ganz spontan bei mir gemeldet hat. Sie hat mich gefragt, ob ich ihren Manager kenne und Interesse an einer neuen Ausstellung hätte. Da sag ich natürlich nicht nein.
Man, die sieht aber toll aus. Man sieht ihr das Alter an, aber dann wieder nicht. Sie ist fresh gekleidet, ganz in schwarz und bemerkt nicht, wie ich auf sie zukomme. Sie schaut auf ihren Kaffee und rührt ihn gedankenverloren mit einem Löffel um. Als sie mich sieht, setzt sie ein Lächeln auf. Ich gehe mit ihr die üblichen Bedingungen einer Ausstellung durch. Sie willigt ein und unterschreibt. Sie trägt den Namen der Ausstellung ein. „Einsamkeit“ soll sie wohl heißen.
„Haben Sie eines der Bilder, die ausgehangen werden sollen dabei?“
„Ja, aber...na ja, es ist erst eine grobe Zeichnung.“
Ich sehe mir das Bild an. Es ist ein Porträt einer anderen älteren Dame. Genauso edel, wie die Klientin, nur hat diese Frau einen ganz anderen Glanz in den Augen. Richtig magisch.
„Wie wollen Sie es nennen?“ frage ich.
„Betsy“, antwortet sie mir und fragt ob es damit erledigt wäre. Ich sage ihr, dass ich den Rest mit ihrem Manager bespreche und lasse sie gehen. Betsy ist wirklich schön.
Eine Ausstellung über Einsamkeit. Da gibt es ein paar Dinge, die ich beitragen könnte. Trust and Believe.
Mein Gott, hab ich diese Berliner etwa ganz alleine gemacht? Ich bin echt toll! Meine Mama hatte Recht. Liebe geht total durch den Magen. Und mein Magen liebt diese Berliner. Ich habe meinem Mann ein paar eingepackt und auch seiner Klientin welche mitgegeben. Das ist hier in meiner Bäckerei schon fast Tradition.
Ich hoffe, sie haben ihr gefallen. Ich meine, hallo? Wie denn auch nicht. Es ist, als würde man in ein Stück Himmel aus Puderzucker und Marmelade beißen. Auf meiner Tafel steht heute etwas anderes zauberhaftes: Croque en bouche. Das letzte Mal, sind mir ein paar der Bälle herausgefallen und obwohl er gehalten hat, möchte ich ihn dieses Mal bombenfest und perfekt hinbekommen. Also da bin ich ja ganz eigen.
Mein Mann kommt durch die Tür und ich fange sofort an zu lächeln. Irgendwie kann ich gar nicht anders. Sein Lächeln hat sich seit 14 Jahren Ehe nicht verändert. Es ist immer noch das Gleiche des kleinen Bubis, der immer gesagt hat, meine Plätzchen würden seine Welt verändern.
Ich gehe zu meinem Zutatenschrank und hole alles raus, was ich brauche. Beim Backen ist es wichtig, strategisch vorzugehen und jedes kleine Gramm zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu verwerten. Ich bin wie ein Detektiv, der versucht herauszufinden, welche Zutat den Mord an Mrs. Geschmacksexplosion begangen hat. Hahahaha! Ich bin so witzig. Mein Mann starrt mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.
„Warum lachst du denn?“
„Warum nicht?“ frage ich und tanze albern herum. Mein Mann zieht genervt seinen Mantel über und verlässt das Haus. Jetzt sind da nur ich und das Mehl. Gegen den Rest der Welt.
Ich glaube, diese täglichen Selbstgespräche führen nur dazu, dass ich wirklich verrückt werde. Das Karamell für meinen Turm ist richtig gut geworden. Nicht zu fest, nicht zu flüssig. Und es schmeckt echt klasse. Manchmal wünsche ich mir jemanden, der nach Hause rennt, durch die Tür rast und ruft: Mama, mama, was hast du heute gebacken? Und dann den Restteig von meinen Schüsseln ableckt. Wie ein Hund, nur das der Hund ein kleines Kind sein soll. Ich könnte diesem Mini- Menschen, den ich neun Monate täglich bei mir trug, bei den Hausaufgaben helfen, kleine Söckchen stricken und Plätzchen backen, die alles für ein paar Momente am Tag süßer machen.
Ich stelle das Karamell nach draußen, damit es abkühlen kann. Oh man, ich sollte den Rest der Wohnung mal wieder aufräumen. Alles liegt irgendwo rum. Aber so gefällt es mir irgendwie. Nur die Küche muss immer ordentlich und sauber sein. Immerhin ist das mein Arbeitsplatz.
Mein Mann ruft mich an. Er sagt, dass in den nächsten Monaten eine Ausstellung stattfinden soll und er mich für das Catering vorgeschlagen hat. Das ist nichts neues ich bin schon öfter für das Essen der Ausstellungen seiner Klienten verantwortlich gewesen. Ich bin ja auch die beste Bäckerin der Stadt. Hahaha! Ich bin heute echt nicht aufzuhalten!
Ich willige ein und hole mir einen Notizblock, um mir die Wünsche der Klientin zu notieren.
Meine Mama hat gesagt, dass ich heute mit auf eine Ausstellung gehen darf. Also das war am Donnerstag und Freitag hab ich es allen meinen Freunden erzählt. Die waren bestimmt nicht so aufgeregt wie ich. Die dürfen ja auch nicht mitkommen. Aber ich kann das erste Mal sehen, was meine Mama macht, wenn ich nicht bei ihr bin. Heute ist Samstag. Ich glaube, Samstag ist mein Lieblingstag. Da gehen wir immer irgendwohin. Außer wenn meine Mama arbeiten muss. Dann kommt die Tante von nebenan.
Meine Mama hat mir schon rausgelegt, was ich anziehen soll. Eigentlich will ich das gar nicht anziehen. Heute muss ich aber ganz brav sein. Das hab ich Mama versprochen.
Im Auto hören wir Mamas Lieblingsmusik. Areta Frankling oder so. Wir steigen aus und da ist ein riesiges Gebäude das sieht aus wie ein Schloss. Richtig groß! Als wir reingehen, fühle ich mich wie eine Prinzessin aus Büchern, die mir Mama manchmal vorliest, bevor ich schlafe. Aber dann sagt sie immer, dass Frauen gar keine Männer brauchen.
Meine Mama sagt mir, ich soll immer bei einer Frau bleiben, die ein pinkes Kleid anhat. Sie steht bei den Kuchen und sagt mir, ich soll ihr helfen wenn jemand essen will. Sie sieht richtig nett aus. Weil sie richtig schön lächelt. Ich mag sie.
Meine Mama steht auf der großen Bühne, die echt ziemlich groß ist und redet. Ich höre nur ein bisschen zu. Ich bin damit beschäftigt der Frau im pinken Kleid zuzugucken. Nach meiner Mama redet eine Frau, mit richtig langen grauen Haaren. Also, so richtig lang! Vielleicht ist sie ja die Prinzessin hier. Sie hat ein schwarzes Kleid an. Danach klatschen alle und laufen im Raum rum, wo viele Bilder hängen. Meine Mama hat gesagt, sie läuft später auch mit mir rum. Aber bestimmt muss ich mit Tante Pink-Kleid rumlaufen. Sie fragt mich, ob ich ein Stück Apfelkuchen haben will. Ich nicke. Weil Apfelkuchen ist mein Lieblingskuchen. Ich setze mich in die Ecke und esse während Frau Pink-Kleid andere Kuchen an die Leute die rumlaufen verteilt. Irgendwie haben alle schwarze Klamotten an. Nur Frau Pink-Kleid hat ein pinkes Kleid an. Später läuft sie mit mir durch den Raum, so wie die ganzen anderen Menschen das hier machen. Ich gucke mir die Bilder an, die an den Wänden hängen. Ich weiß nicht, wer die gemalt hat, aber die sind besser, als die Bilder von meiner Kunstlehrerin. Und die kann echt gut malen. Die Frau gibt mir am Ende, nachdem sich alle die Bilder viel zu lange angeguckt haben, eine Tüte mit Keksen und den Rest von dem Apfelkuchen mit. Ich sage danke und fahre mit Mama nach Hause.
Mama könnte doch die Freundin von Frau Pink-Kleid sein. Sie war nett. Und die Frau mit den langen Haaren sah so traurig aus. Vielleicht können die drei mal zusammen Apfelkuchen essen.
Ich fände das super.