Hier findest du Prosa zum Thema "ZEIT".
Bangkok
Die kalte Nachtluft beißt mir in die Ohren. Erschaudernd ziehe ich den Parker fester um meinen frierenden Körper und schließe die Augen.
Heiße feuchte Luft erdrückt mich und Straßenlärm schlägt über mir ein.
Jeder Schritt ist wie durch Wasser zu waten. Ein Meer aus feuchter Wärme, Gerüchen und Lärm umgibt mich.
Stunden, die zu Tagen wurden, haben wir eingekeilt zwischen Fremden im Flugzeug verbracht. Doch jetzt gestikuliert ein aufgeregter, dünner, junger Mann in bunten Klamotten vor unseren Gesichtern herum. „Tuk Tuk?“ brüllt er uns gegen den Lärm der, hier so vollen, Welt entgegen.
Doch als er unseren Reiseetat erfährt, schüttelt er umdenkend den Kopf und stürzt mit einem eindeutigen Winken davon. Ratlos stolpern wir ihm nach.
Mein 90 Liter Rucksack will mich in den Boden drücken, doch meine Begeisterung für die Fremde hält ihn davon ab.
Plötzlich steht der bunte, junge Mann vor einem grauhaarigen, eine unglaublich tiefe Ruhe ausstrahlenden Herrn. Wie wir erfahren, ist dies also unser Portier ins Abenteuer. Der Tuk-Tuk-Fahrer für die Einheimischen. Er fährt uns, auch wenn wir eigentlich nur mit Neugier zahlen können.
Und plötzlich rauscht die Welt in Farben und Abgas an uns vorbei.
Unser ruhiger Tuk-Tuk-Fahrer drängelt sich in der sechsten Spur zwischen zwei Lastwagen durch, die die vierspurige Straße entlang rasen. Ich sehne mich plötzlich nach dem beißenden, so belebenden Geschmack des „Fischergeistes“ meiner Ostseetage. Und sehe mich schon den feinstoffbelasteten Boden küssen. Der Motor unter mir brummt wütend und das dreirädrige Gefährt macht einen Satz nach vorn. Da ist nichts, was mich von den erschreckend wirklichen Lastern links und rechts von uns trennt. Gerade noch rechtzeitig kann ich meinen Ellbogen ins Innere der winzigen Motorkutsche ziehen, als auch schon Räder, so groß wie ich, an meinem Ohr vorbei donnern.
Ich lache in die laute, stinkende, vor Leben strotzende Welt. Bangkok schlägt mir gefühlvoll ins Gesicht. Ich bin da. Im Leben!
Die Bahn hält quietschend auf vereisten Schienen und eine dunkle Masse trampelt über meine Füße. Ich öffne die Augen und „Berlin Calling“ flüstert mir ins Ohr.
Die kalte Nachtluft beißt mir in die Ohren. Erschaudernd ziehe ich den Parker fester um meinen frierenden Körper und schließe die Augen.
Heiße feuchte Luft erdrückt mich und Straßenlärm schlägt über mir ein.
Jeder Schritt ist wie durch Wasser zu waten. Ein Meer aus feuchter Wärme, Gerüchen und Lärm umgibt mich.
Stunden, die zu Tagen wurden, haben wir eingekeilt zwischen Fremden im Flugzeug verbracht. Doch jetzt gestikuliert ein aufgeregter, dünner, junger Mann in bunten Klamotten vor unseren Gesichtern herum. „Tuk Tuk?“ brüllt er uns gegen den Lärm der, hier so vollen, Welt entgegen.
Doch als er unseren Reiseetat erfährt, schüttelt er umdenkend den Kopf und stürzt mit einem eindeutigen Winken davon. Ratlos stolpern wir ihm nach.
Mein 90 Liter Rucksack will mich in den Boden drücken, doch meine Begeisterung für die Fremde hält ihn davon ab.
Plötzlich steht der bunte, junge Mann vor einem grauhaarigen, eine unglaublich tiefe Ruhe ausstrahlenden Herrn. Wie wir erfahren, ist dies also unser Portier ins Abenteuer. Der Tuk-Tuk-Fahrer für die Einheimischen. Er fährt uns, auch wenn wir eigentlich nur mit Neugier zahlen können.
Und plötzlich rauscht die Welt in Farben und Abgas an uns vorbei.
Unser ruhiger Tuk-Tuk-Fahrer drängelt sich in der sechsten Spur zwischen zwei Lastwagen durch, die die vierspurige Straße entlang rasen. Ich sehne mich plötzlich nach dem beißenden, so belebenden Geschmack des „Fischergeistes“ meiner Ostseetage. Und sehe mich schon den feinstoffbelasteten Boden küssen. Der Motor unter mir brummt wütend und das dreirädrige Gefährt macht einen Satz nach vorn. Da ist nichts, was mich von den erschreckend wirklichen Lastern links und rechts von uns trennt. Gerade noch rechtzeitig kann ich meinen Ellbogen ins Innere der winzigen Motorkutsche ziehen, als auch schon Räder, so groß wie ich, an meinem Ohr vorbei donnern.
Ich lache in die laute, stinkende, vor Leben strotzende Welt. Bangkok schlägt mir gefühlvoll ins Gesicht. Ich bin da. Im Leben!
Die Bahn hält quietschend auf vereisten Schienen und eine dunkle Masse trampelt über meine Füße. Ich öffne die Augen und „Berlin Calling“ flüstert mir ins Ohr.
Zeit sparen
Ich schaue auf meine Uhr. Zwei Stunden. Zwei Stunden, dann werde ich wieder in meinem geliebten Berlin sein. Es ist kurz vor acht und ich bin schon seit sechs Uhr unterwegs. Ich bin müde, aber ich kann nicht schlafen beziehungsweise wollte ich nicht schlafen. Zugfahrten versuche ich immer sinnvoll zu nutzen. Obwohl der Weg von einem Punkt zum anderen eigentlich keine ungenutzte Zeit ist. Ich fahre ja nicht sinnlos in der Gegend herum.
Während der Zug mich innerhalb von vier Stunden von Frankfurt am Main nach Berlin kutschiert, schreibe ich diesen Text, gucke zwischendurch aus dem Fenster und sehe die Welt rasend schnell an mir vorbeirauschen. Außerdem blicke ich ab und zu auf mein Handy. Mal ist der Empfang ganz gut, mal weniger. Es ist doch verrückt, dass so ein kleines Gerät unser ständiger Begleiter ist. Man möchte ja fast meinen, es würde gar nicht mehr ohne gehen.
Viele von den anderen Passagieren sind am Handy oder am Laptop. Es gibt so viele Möglichkeiten, sich zu beschäftigen. Wir können gleichzeitig einen Film gucken, Musik hören und mit meinen Freunden und meiner Familie kommunizieren – auf mindestens vier verschiedenen Wegen.
Trotz der vielen Möglichkeiten möchte ich nur eine Sache machen. Nur schreiben. Mich nur auf eine Sache konzentrieren. Nicht auf das Handy gucken, keine E-Mails checken und keine Online-Shops durchforsten. Doch immer wieder greife ich nach meinem Handy und sehe die ungelesene Nachricht meiner Schwester, die ich gerade gar nicht beantworten möchte, weil ich mich ja eigentlich nur auf eine Sache konzentrieren will.
Die Technik nimmt uns viel Arbeit ab. Viele Dinge sind inzwischen mit zwei drei Klicks erledigt und wir haben Zeit für wichtige Sachen. Wichtige Sachen, wie sinnlos auf das Handy zu gucken.
Ich schaue auf meine Uhr. Zwei Stunden. Zwei Stunden, dann werde ich wieder in meinem geliebten Berlin sein. Es ist kurz vor acht und ich bin schon seit sechs Uhr unterwegs. Ich bin müde, aber ich kann nicht schlafen beziehungsweise wollte ich nicht schlafen. Zugfahrten versuche ich immer sinnvoll zu nutzen. Obwohl der Weg von einem Punkt zum anderen eigentlich keine ungenutzte Zeit ist. Ich fahre ja nicht sinnlos in der Gegend herum.
Während der Zug mich innerhalb von vier Stunden von Frankfurt am Main nach Berlin kutschiert, schreibe ich diesen Text, gucke zwischendurch aus dem Fenster und sehe die Welt rasend schnell an mir vorbeirauschen. Außerdem blicke ich ab und zu auf mein Handy. Mal ist der Empfang ganz gut, mal weniger. Es ist doch verrückt, dass so ein kleines Gerät unser ständiger Begleiter ist. Man möchte ja fast meinen, es würde gar nicht mehr ohne gehen.
Viele von den anderen Passagieren sind am Handy oder am Laptop. Es gibt so viele Möglichkeiten, sich zu beschäftigen. Wir können gleichzeitig einen Film gucken, Musik hören und mit meinen Freunden und meiner Familie kommunizieren – auf mindestens vier verschiedenen Wegen.
Trotz der vielen Möglichkeiten möchte ich nur eine Sache machen. Nur schreiben. Mich nur auf eine Sache konzentrieren. Nicht auf das Handy gucken, keine E-Mails checken und keine Online-Shops durchforsten. Doch immer wieder greife ich nach meinem Handy und sehe die ungelesene Nachricht meiner Schwester, die ich gerade gar nicht beantworten möchte, weil ich mich ja eigentlich nur auf eine Sache konzentrieren will.
Die Technik nimmt uns viel Arbeit ab. Viele Dinge sind inzwischen mit zwei drei Klicks erledigt und wir haben Zeit für wichtige Sachen. Wichtige Sachen, wie sinnlos auf das Handy zu gucken.
Geburtstagsgedanken
Und wieder ist ein Jahr vergangen. Die Zeit vergeht wie im Fluge. Sie rast, als gäbe es kein Halten mehr. War das schon immer so? Mir kommt es so vor, als würde die Zeit immer schneller vergehen, je älter man wird, als würde sie einem regelrecht davonrennen… Wieso bloß?
Am Vorabend meines Geburtstags hatte ich die beste Gesellschaft, die ich mir hätte wünschen können. Zusammen mit M., ihrem Freund A. und K. konnte ich in einer Bar in meine 22 Jahre hineinfeiern und einfach mal loslassen und frei sein.
Zuvor haben wir uns das Fußballspiel Deutschland gegen Italien angesehen und erreichten die Bar, als dieses noch voll im Gange war. Doch als das dann nach einer gefühlten Ewigkeit und einem Sieg für Deutschland beendet war, wurde es auch in der Bar ruhiger und der Abend konnte beginnen.
M. hat sich bei der Auswahl meines Geschenks selbst übertroffen, indem sie mir einen wunderschönen Bilderrahmen mit einem Foto von uns drin schenkte, welches nun bei mir an der Wand hängt.
An meinem eigentlichen Geburtstag waren einige Leute zu Kaffee und Kuchen eingeladen. Mein Vater auch. Und er ist sogar gekommen, woran ich zweifelte, als ich die E-Mail mit der Einladung versendete. Als ich jünger war musste ich schließlich meistens auf ihn verzichten an meinen Geburtstagen oder er hat mal kurz hereingeschaut. Doch dieses Mal war es anders. Er hat sich richtig Zeit genommen, war entspannt… Vielleicht hat sich bei ihm ja wirklich eine Art Schalter umgelegt und ihm ist klargeworden, dass ich seine Tochter bin und dass er nun mal nur eine hat und er sie verlieren könnte, wenn er nicht für sie da ist. Es macht mich jedenfalls ein wenig stolz, dass er sich so viel Zeit genommen hat, dass alles ganz „normal“ war, nicht etwa verkrampft, dass er sich auch mit meiner Mutter so, wie mit jedem anderen Gast, unterhalten konnte und dass er auch auf mich etwas stolz zu sein schien. Diese Dinge sollten sich eigentlich von selber verstehen, doch bei uns war das lange Zeit nicht so, deswegen freue ich mich jetzt umso mehr über den Verlauf des gestrigen Tages.
Und wieder ist ein Jahr vergangen. Die Zeit vergeht wie im Fluge. Sie rast, als gäbe es kein Halten mehr. War das schon immer so? Mir kommt es so vor, als würde die Zeit immer schneller vergehen, je älter man wird, als würde sie einem regelrecht davonrennen… Wieso bloß?
Am Vorabend meines Geburtstags hatte ich die beste Gesellschaft, die ich mir hätte wünschen können. Zusammen mit M., ihrem Freund A. und K. konnte ich in einer Bar in meine 22 Jahre hineinfeiern und einfach mal loslassen und frei sein.
Zuvor haben wir uns das Fußballspiel Deutschland gegen Italien angesehen und erreichten die Bar, als dieses noch voll im Gange war. Doch als das dann nach einer gefühlten Ewigkeit und einem Sieg für Deutschland beendet war, wurde es auch in der Bar ruhiger und der Abend konnte beginnen.
M. hat sich bei der Auswahl meines Geschenks selbst übertroffen, indem sie mir einen wunderschönen Bilderrahmen mit einem Foto von uns drin schenkte, welches nun bei mir an der Wand hängt.
An meinem eigentlichen Geburtstag waren einige Leute zu Kaffee und Kuchen eingeladen. Mein Vater auch. Und er ist sogar gekommen, woran ich zweifelte, als ich die E-Mail mit der Einladung versendete. Als ich jünger war musste ich schließlich meistens auf ihn verzichten an meinen Geburtstagen oder er hat mal kurz hereingeschaut. Doch dieses Mal war es anders. Er hat sich richtig Zeit genommen, war entspannt… Vielleicht hat sich bei ihm ja wirklich eine Art Schalter umgelegt und ihm ist klargeworden, dass ich seine Tochter bin und dass er nun mal nur eine hat und er sie verlieren könnte, wenn er nicht für sie da ist. Es macht mich jedenfalls ein wenig stolz, dass er sich so viel Zeit genommen hat, dass alles ganz „normal“ war, nicht etwa verkrampft, dass er sich auch mit meiner Mutter so, wie mit jedem anderen Gast, unterhalten konnte und dass er auch auf mich etwas stolz zu sein schien. Diese Dinge sollten sich eigentlich von selber verstehen, doch bei uns war das lange Zeit nicht so, deswegen freue ich mich jetzt umso mehr über den Verlauf des gestrigen Tages.
Hel
Als Sighrid die Anrufung beendet hatte, warf sie einen erwartungsvollen Blick auf den steinernen Beschwörungskreis an der Klippe. Er war leer. Sie wandte sich enttäuscht und mit Verzweiflung im Herzen ab und wollte schon den Weg zurück ins Dorf antreten, als plötzlich ein schneidend kalter Wind vom Meer aus den Fjord hinaufheulte und an Sighrids weißblondem Haar riss. Sie fröstelte und blickte zurück zum Kreis. Bleiche Furcht kroch in ihre Knochen. Man hatte ihren Ruf gehört – und war ihm gefolgt. Da stand sie. Hel, die Göttin des Todes. Sie war schön und schrecklich zugleich. Ihre Haut war jung, weich und weiß wie Milch; schien jedoch gleichzeitig zu verwittern wie die die Haut eines Toten. Ihr schwarzes, von Eiskristallen durchsetztes Haar wurde von eisigem Wind gepeitscht, dessen Kälte nicht von dieser Welt sein konnte. Sie trug ein einfaches Kleid aus verschlissener Wolle, beinahe wie eine Sklavin. Und doch war ihre Präsenz so furchteinflößend, dass Sighrid zu zittern begann und sich tief verneigte. Sie spürte die Last des abschätzigen Blickes aus den eisblauen Augen der Göttin. Raureif breitete sich auf dem Gras aus wie ein Leichentuch und Sighrids Atem bildete kleine Dampfwolken vor ihrem Gesicht.
„Es ist eine Weile her, dass ich von einer Hexe kontaktiert wurde. Du duftest nach Macht, Kind. Das ist interessant.“ Die Göttin schritt aus dem Kreis und das gefrorene Gras knirschte unter ihren nackten Füßen. „Erhebe dich.“
Sighrid hob den Kopf und blickte fest in das Antlitz der Hel.
Die Göttin schritt im Kreis um die Hexe herum und musterte sie. „Was willst du, Kleines?“
„Mein … mein Mann. Frotnar. Du rufst ihn und willst ihn zu dir holen. Ich habe es in einer Vorahnung gesehen.“
Hel schmunzelte hämisch. „So etwas dachte ich mir schon. Ich soll deinen Mann verschonen. Diese Bitte ist so anmaßend, dass ich sie schon beinahe amüsant fände, wenn sie nicht so einfallslos und vorhersehbar wäre.“
Sighrid schluckte schwer. „Bitte, Hel. Ich hatte nicht viel Zeit mit ihm und ich trage sein Kind unter meinem Herzen.“
Die Göttin schnaufte verächtlich. „Was fällt dir ein, solch eine Forderung zu stellen und sie dann auch noch so dürftig zu begründen, Hexe?“
„Ich kann dir das Leben eines anderen geben. Bitte, sag mir, wen ich für dich töten soll!“
„Du wirst mir mit jedem Wort, das du von dir gibst unsympathischer, du egoistisches, infantiles Miststück! Vielleicht solltest du lieber schweigen!“
Eine Träne gefror auf Sighrids Wange. „Hel, bitte. Wie soll ich ohne ihn zurechtkommen?“
„Du bist eine Zauberin! Sprich einen Liebeszauber und suche dir einen neuen Mann, wie die einfältige Hexe, die du bist! Das ist doch eure bevorzugte Art, einen Partner zu finden, wenn ich mich recht entsinne.“
Wie konnte sie es wagen, so herablassend mit ihr zu sprechen? Niemand aus dem Dorf würde sich das trauen! Doch Sighrid musste Hel gewähren lassen. Sie war eine Göttin. „Aber ich liebe Frotnar.“
Die Züge der Göttin wurden etwas weicher. „Noch hast du Zeit, Kind. Du hast Glück, denn du hast seinen Verfall gesehen, bevor er begonnen hat. Die Krankheit, die Frotnar in meine Arme führen wird ist noch nicht ausgebrochen – aber das wird bald passieren.“
Sighrid blickte der Hel stoisch ins Gesicht obwohl in ihrem Inneren die letzte Hoffnung zerbrach wie ein irdener Krug.
„Nutze die Zeit, die du noch hast, um deinem Mann zu zeigen, wie sehr du ihn schätzt und um dich von ihm zu verabschieden. Denn seine Zeit auf Midgard ist bald abgelaufen. Die Zeit kann niemand aufhalten – nicht einmal Hexen.“
Plötzlich stand Sighrid allein auf der Klippe. Und während die Kälte langsam aus ihren Gliedern verschwand, war sie unschlüssig darüber, ob sie dem Rat Hels folgen sollte. Sie ballte bebend vor Wut und Hilflosigkeit die Fäuste. Was sollte sie tun?
Sighrids Füße fanden den Weg zurück ins Dorf ohne ihr Zutun während sie ihren düsteren Gedanken nachhing. Als sie an ihrem kleinen Haus ankam, schlug Frotnar gerade Feuerholz und rief ihr eine Begrüßung zu, welche sie mit einem halbherzigen Winken erwiderte.
Sie setzte sich auf die Bank vor dem Haus und beobachtete ihren Mann bei der Arbeit. Nach einer Weile fasste sie einen Entschluss. Die Sonne ging hinter den Bäumen unter und tauchte den Rand des Dorfes und den Wald in einen rötlichen Schein. Außer Sighrid und Frotnar war niemand zu sehen, die anderen bereiteten die Boote für die Raubzüge im kommenden Frühling vor.
Die Hexe erhob sich langsam und leise, während ihr Mann die letzten Holzscheite unter regelmäßigen Hieben spaltete.
Hel wollte Frotnar holen. Sie sollte ihn bekommen, das war ohnehin unausweichlich. Die Zeit konnte sie nicht aufhalten. Doch Sighrid würde nicht dabei zusehen, wie ihr geliebter Mann qualvoll an einer Krankheit zugrunde ging. Mit Tränen in den Augen schluckte ihre Angst herunter, wappnete sich für einen letzten Akt der Liebe und zog zitternd ihr Messer aus dem Gürtel.
Als Sighrid die Anrufung beendet hatte, warf sie einen erwartungsvollen Blick auf den steinernen Beschwörungskreis an der Klippe. Er war leer. Sie wandte sich enttäuscht und mit Verzweiflung im Herzen ab und wollte schon den Weg zurück ins Dorf antreten, als plötzlich ein schneidend kalter Wind vom Meer aus den Fjord hinaufheulte und an Sighrids weißblondem Haar riss. Sie fröstelte und blickte zurück zum Kreis. Bleiche Furcht kroch in ihre Knochen. Man hatte ihren Ruf gehört – und war ihm gefolgt. Da stand sie. Hel, die Göttin des Todes. Sie war schön und schrecklich zugleich. Ihre Haut war jung, weich und weiß wie Milch; schien jedoch gleichzeitig zu verwittern wie die die Haut eines Toten. Ihr schwarzes, von Eiskristallen durchsetztes Haar wurde von eisigem Wind gepeitscht, dessen Kälte nicht von dieser Welt sein konnte. Sie trug ein einfaches Kleid aus verschlissener Wolle, beinahe wie eine Sklavin. Und doch war ihre Präsenz so furchteinflößend, dass Sighrid zu zittern begann und sich tief verneigte. Sie spürte die Last des abschätzigen Blickes aus den eisblauen Augen der Göttin. Raureif breitete sich auf dem Gras aus wie ein Leichentuch und Sighrids Atem bildete kleine Dampfwolken vor ihrem Gesicht.
„Es ist eine Weile her, dass ich von einer Hexe kontaktiert wurde. Du duftest nach Macht, Kind. Das ist interessant.“ Die Göttin schritt aus dem Kreis und das gefrorene Gras knirschte unter ihren nackten Füßen. „Erhebe dich.“
Sighrid hob den Kopf und blickte fest in das Antlitz der Hel.
Die Göttin schritt im Kreis um die Hexe herum und musterte sie. „Was willst du, Kleines?“
„Mein … mein Mann. Frotnar. Du rufst ihn und willst ihn zu dir holen. Ich habe es in einer Vorahnung gesehen.“
Hel schmunzelte hämisch. „So etwas dachte ich mir schon. Ich soll deinen Mann verschonen. Diese Bitte ist so anmaßend, dass ich sie schon beinahe amüsant fände, wenn sie nicht so einfallslos und vorhersehbar wäre.“
Sighrid schluckte schwer. „Bitte, Hel. Ich hatte nicht viel Zeit mit ihm und ich trage sein Kind unter meinem Herzen.“
Die Göttin schnaufte verächtlich. „Was fällt dir ein, solch eine Forderung zu stellen und sie dann auch noch so dürftig zu begründen, Hexe?“
„Ich kann dir das Leben eines anderen geben. Bitte, sag mir, wen ich für dich töten soll!“
„Du wirst mir mit jedem Wort, das du von dir gibst unsympathischer, du egoistisches, infantiles Miststück! Vielleicht solltest du lieber schweigen!“
Eine Träne gefror auf Sighrids Wange. „Hel, bitte. Wie soll ich ohne ihn zurechtkommen?“
„Du bist eine Zauberin! Sprich einen Liebeszauber und suche dir einen neuen Mann, wie die einfältige Hexe, die du bist! Das ist doch eure bevorzugte Art, einen Partner zu finden, wenn ich mich recht entsinne.“
Wie konnte sie es wagen, so herablassend mit ihr zu sprechen? Niemand aus dem Dorf würde sich das trauen! Doch Sighrid musste Hel gewähren lassen. Sie war eine Göttin. „Aber ich liebe Frotnar.“
Die Züge der Göttin wurden etwas weicher. „Noch hast du Zeit, Kind. Du hast Glück, denn du hast seinen Verfall gesehen, bevor er begonnen hat. Die Krankheit, die Frotnar in meine Arme führen wird ist noch nicht ausgebrochen – aber das wird bald passieren.“
Sighrid blickte der Hel stoisch ins Gesicht obwohl in ihrem Inneren die letzte Hoffnung zerbrach wie ein irdener Krug.
„Nutze die Zeit, die du noch hast, um deinem Mann zu zeigen, wie sehr du ihn schätzt und um dich von ihm zu verabschieden. Denn seine Zeit auf Midgard ist bald abgelaufen. Die Zeit kann niemand aufhalten – nicht einmal Hexen.“
Plötzlich stand Sighrid allein auf der Klippe. Und während die Kälte langsam aus ihren Gliedern verschwand, war sie unschlüssig darüber, ob sie dem Rat Hels folgen sollte. Sie ballte bebend vor Wut und Hilflosigkeit die Fäuste. Was sollte sie tun?
Sighrids Füße fanden den Weg zurück ins Dorf ohne ihr Zutun während sie ihren düsteren Gedanken nachhing. Als sie an ihrem kleinen Haus ankam, schlug Frotnar gerade Feuerholz und rief ihr eine Begrüßung zu, welche sie mit einem halbherzigen Winken erwiderte.
Sie setzte sich auf die Bank vor dem Haus und beobachtete ihren Mann bei der Arbeit. Nach einer Weile fasste sie einen Entschluss. Die Sonne ging hinter den Bäumen unter und tauchte den Rand des Dorfes und den Wald in einen rötlichen Schein. Außer Sighrid und Frotnar war niemand zu sehen, die anderen bereiteten die Boote für die Raubzüge im kommenden Frühling vor.
Die Hexe erhob sich langsam und leise, während ihr Mann die letzten Holzscheite unter regelmäßigen Hieben spaltete.
Hel wollte Frotnar holen. Sie sollte ihn bekommen, das war ohnehin unausweichlich. Die Zeit konnte sie nicht aufhalten. Doch Sighrid würde nicht dabei zusehen, wie ihr geliebter Mann qualvoll an einer Krankheit zugrunde ging. Mit Tränen in den Augen schluckte ihre Angst herunter, wappnete sich für einen letzten Akt der Liebe und zog zitternd ihr Messer aus dem Gürtel.