Von Raclette-Pfännchen und Selbstfindung
Ladies and gents, this is the moment you've waited for (The greatest show - Hugh Jackmann)
Nächster Halt...die Tür des Zuges öffnet sich, jeder der sich bereits halb stehend, halb sitzend in irgendeine Ecke gequetscht hat, starrt ungewollt aber unfassbar genervt auf die Großfamilie, die sich jetzt mit Sack und Pack auch noch reindrängelt. Im Gepäck Aldi- und andere Supermarkt-Tüten, aus denen mehr oder weniger liebevoll verpackte Geschenke hervorlugen. Und dann kommt auch noch der Typ Hipster mit seinem Fahrrad und nicht zu vergessen, die Studentin, die sich mit Geschenktüten voller - hups, Überraschung - Geschenken und noch verpackten Geschenkpapierrollen an allen anderen vorbei drängt.
Und jetzt hab ich doch eigentlich den ganzen Rätselspaß vorweg genommen. Denn wo sind wir? RICHTIG!! In einem völlig überfüllten Zug, der uns, wenige Tage vor Weihnachten, nach Hause zu unseren Liebsten bringt. Oder, auf gut Deutsch gesagt - der Moment, wenn uns klar wird, dass wir, sobald wir zuhause aus dem Zug aussteigen, endgültig verloren sind. Und wir tatsächlich in Betracht ziehen, in diesem Zug zwischen dem "Auf-dem-Handy-Netflix-schauenden-Typen", dem die Hose definitiv 10cm zu tief hängt, dem Backpacking-Paar, das immer wieder demonstrativ seine Ethno-Schals vor Mund und Nase zieht und all diesen anderen verlorenen Seelen - wenn wir tatsächlich in Betracht ziehen, da einfach mal kurz aufzustehen, rumzuschreien und...ach nee, verrückt durch die Gegend rennen geht ja nicht. Dann würde man vermutlich vom Hipster-Bike aufgespießt werden.
Es ist schon auffällig, wie sehr uns jedes Jahr aufs Neue suggeriert wird, dass wir doch spätestens ab dem 4. November (an dieser Stelle beliebig ausgewähltes Datum, bitte versucht nicht, es zu interpretieren) voll und ganz in unbändiger, vor Kitsch triefender Weihnachtsstimmung zerfließen sollten. Endlich wieder 23 Mal in drei Tagen "3 Haselnüsse für Aschenbrödel" gucken! Endlich wieder nach langer Zeit nach Hause fahren und sich den immer gleichen unangenehmen Fragen der Verwandtschaft stellen. Endlich mal wieder so tun, als ob wir alle professionell seit Jahren in einer ARD-Weihnachtskomödie gefangen sind. ENDLICH! THIS IS THE MOMENT WE'VE WAITED FOR!!! Oder eben auch nicht.
Eins an dieser Stelle - gaaanz wichtig, damit sich niemand auf den Weihnachtsschlips getreten fühlt - ich bin kein Grinch. Aber ich verstehe schon, warum er Menschen gehasst hat und lieber ganz allein mit seinem Hund leben wollte. Vielleicht bin ich einfach nur ein kleines trauriges Mädchen, das sich nach den Zeiten zurücksehnt, in denen es Barbies Wohnmobil zu Weihnachten bekommen hat, bevor es mit seinen Eltern und Opa im letzten wunderschönen Schneegestöber, das es zu Weihnachten erlebt hat, einen nächtlichen Spaziergang gemacht hat. Aber jetzt mal die Schoko-Weihnachtsmänner und Raclette-Schälchen auf den Tisch - in welcher Familie ist Weihnachten denn wirklich auch nur annäherend wie in der Edeka- oder Coca Cola-Werbung? Die Realität sieht doch sooo unfassbar anders aus.
Essen wir am 24. Abends bei deinen Eltern? Aber vorher müssen wir mit meiner Familie noch in die Kirche! Ja, die 50km schaffen wir schon in der halben Stunde, vorher müssen wir aber noch die restlichen Geschenke einladen! Am 25. wartet dann meine Tante auf uns zum Mittag, sie hat doch extra wieder ihre tolle Ente gemacht und freut sich so, uns zu sehen. Zum Kaffee müssen wir aber dann bei Luise und Michael sein, die laden doch jedes Jahr die engsten Freunde dazu ein. Wie, wann bleibt mal Zeit für uns, zum Entspannen? Nee, nee, ich muss auch noch das Essen für den 26. vorbereiten, wenn unsere Eltern bei uns vorbeikommen, saubermachen muss ich auch noch, und überhaupt muss ich am 28. auch wieder arbeiten, aber hey, kein Problem, ich lass mich einfach von meinem Psychologen krankschreiben. Wird er eh empfehlen aufgrund des akuten Weihnachts-Burnouts. Also alles gut.
Na, kommt euch das bekannt vor? Sträubt euch nicht gegen die Wahrheit. So läuft es doch in den meisten Fällen ab. Vor allem für die Menschen, die nicht in der Nähe ihrer Familie wohnen, aber selbige eigene haben, artet Weihnachten meist in puren Stress aus. Das hat nichts mehr mit Heimeligkeit und Beisammensein zutun. Das ist ein Abarbeiten von Terminen, in denen die eigentliche Entspannung und der eigentliche Sinn von Weihnachten viel zu kurz kommt.
LADIES AND GENTS, THIS IS THE MOMENT YOU'VE WAITED FOR.
Nennt mich halt doch Grinch, wenn ihr wollt, aber ich hab vor allem auf den Moment gewartet, an dem ich endlich wieder im Bus saß - weg von meiner Familie, weg von der Heimat - hin zu meinem selbst gewählten Zuhause. Und das nicht etwa, weil ich ein schlechter Mensch bin. Aber seien wir mal ehrlich - für mindestens 80% der Menschen, die an Weihnachten nach Hause zu ihrer Familie zurückkehren, bedeutet das, in eine Welt zurückzukehren, in der sie möglicherweise niemals ganz sie selbst sein konnten. Es gibt einen Grund, warum wir das Elternhaus verlassen haben. Manchmal ist es nur ein Job gewesen, manchmal der Wille, auszubrechen, manchmal die Suche nach sich selbst. Manchmal ist es alles auf einmal. Und dann sitzt man plötzlich wieder auf dem elterlichen Sofa und muss feststellen, dass nicht nur diese zwei Menschen sondern die ganze Familie noch in den genau gleichen schädlichen Verhaltensmustern feststecken, wie vor sechs Jahren. Während sich die eigene Welt in diesen sechs Jahren so sehr verändert hat, wie es nur irgend möglich war. Und während man in dieser Zeit so sehr dafür gekämpft hat, seine eigene Gefühlswelt, sich selbst endlich zu akzeptieren, sitzt man dann auf diesem Sofa und fühlt sich beinahe gefangen in diesen imaginären Rückblenden, in denen man nie so sein konnte, wie man wirklich ist.
Und so ist Weihnachten doch gerade für uns - die aus der Heimat "Geflohenen" - so oft eine Rückkehr in eine Welt, die in nur wenigen Tagen in der Lage ist, unsere ganze selbst aufgebaute so starke und neue Gefühlswelt...naja, zumindest anzukratzen.
Und ich schäme mich nicht, zuzugeben, dass ich mich plötzlich wieder frei fühlte, als ich endlich im Zug saß und wusste, dass ich wieder in meine eigene Welt zurückkehren kann, die für mich so unfassbar viel realer und authentischer ist. In meine Welt, in der ich in den vergangenen Monaten endlich gelernt habe, mich selbst allmählich so zu akzeptieren, wie ich bin.
Aber weil ich so sehr auf Ironie und Sarkasmus stehe, noch eine kleine Weihnachtsankedote: An Heiligabend hat mich mein Opa mit "Na Dicke" begrüßt, machte später noch einen Kommentar über meinen Bauch. An sich berechtigt, denn leider hab ich ziemlich zugenommen. Das ist aber gar nicht das Problem, das ist sein Humor. Der entscheidende Moment war, als er herzlich lachte, nachdem ich meinte, halb im Ernst, halb im großelterlichen Spaß, dass ich doch sensibel bin. Er hat gelacht, ganz ehrlich und natürlich, hat auf ein Bild gedeutet, das meine Großeltern in ihrem Wohnzimmer stehen haben. Darauf strahle ich lachend in die Kamera. Und er lacht, schaut mich an und sagt "Du und sensibel?" Und ich wusste, er meinte es ernst. Und das war einer von so manchen Momenten, in denen so sehr deutlich wird, dass selbst meine so sehr geliebten Großeltern keine Ahnung haben, was ich wirklich für ein Mensch bin. Denn für sie bin ich immer die starke Enkelin, die schon ihren Weg in Berlin geht, hauptsache, sie machen sich keine Sorgen um mich. Aber es war einmal mehr ein Zeichen, dass ich in meiner Familie nie der Mensch würde sein können, der ich wirklich bin.
Und nun frag mich noch mal jemand, warum ich nicht Edeka-Werbung-excited war, zu Weihnachten meine Familie zu besuchen.
Ladies and gents, this is the moment you've waited for (The greatest show - Hugh Jackmann)
Nächster Halt...die Tür des Zuges öffnet sich, jeder der sich bereits halb stehend, halb sitzend in irgendeine Ecke gequetscht hat, starrt ungewollt aber unfassbar genervt auf die Großfamilie, die sich jetzt mit Sack und Pack auch noch reindrängelt. Im Gepäck Aldi- und andere Supermarkt-Tüten, aus denen mehr oder weniger liebevoll verpackte Geschenke hervorlugen. Und dann kommt auch noch der Typ Hipster mit seinem Fahrrad und nicht zu vergessen, die Studentin, die sich mit Geschenktüten voller - hups, Überraschung - Geschenken und noch verpackten Geschenkpapierrollen an allen anderen vorbei drängt.
Und jetzt hab ich doch eigentlich den ganzen Rätselspaß vorweg genommen. Denn wo sind wir? RICHTIG!! In einem völlig überfüllten Zug, der uns, wenige Tage vor Weihnachten, nach Hause zu unseren Liebsten bringt. Oder, auf gut Deutsch gesagt - der Moment, wenn uns klar wird, dass wir, sobald wir zuhause aus dem Zug aussteigen, endgültig verloren sind. Und wir tatsächlich in Betracht ziehen, in diesem Zug zwischen dem "Auf-dem-Handy-Netflix-schauenden-Typen", dem die Hose definitiv 10cm zu tief hängt, dem Backpacking-Paar, das immer wieder demonstrativ seine Ethno-Schals vor Mund und Nase zieht und all diesen anderen verlorenen Seelen - wenn wir tatsächlich in Betracht ziehen, da einfach mal kurz aufzustehen, rumzuschreien und...ach nee, verrückt durch die Gegend rennen geht ja nicht. Dann würde man vermutlich vom Hipster-Bike aufgespießt werden.
Es ist schon auffällig, wie sehr uns jedes Jahr aufs Neue suggeriert wird, dass wir doch spätestens ab dem 4. November (an dieser Stelle beliebig ausgewähltes Datum, bitte versucht nicht, es zu interpretieren) voll und ganz in unbändiger, vor Kitsch triefender Weihnachtsstimmung zerfließen sollten. Endlich wieder 23 Mal in drei Tagen "3 Haselnüsse für Aschenbrödel" gucken! Endlich wieder nach langer Zeit nach Hause fahren und sich den immer gleichen unangenehmen Fragen der Verwandtschaft stellen. Endlich mal wieder so tun, als ob wir alle professionell seit Jahren in einer ARD-Weihnachtskomödie gefangen sind. ENDLICH! THIS IS THE MOMENT WE'VE WAITED FOR!!! Oder eben auch nicht.
Eins an dieser Stelle - gaaanz wichtig, damit sich niemand auf den Weihnachtsschlips getreten fühlt - ich bin kein Grinch. Aber ich verstehe schon, warum er Menschen gehasst hat und lieber ganz allein mit seinem Hund leben wollte. Vielleicht bin ich einfach nur ein kleines trauriges Mädchen, das sich nach den Zeiten zurücksehnt, in denen es Barbies Wohnmobil zu Weihnachten bekommen hat, bevor es mit seinen Eltern und Opa im letzten wunderschönen Schneegestöber, das es zu Weihnachten erlebt hat, einen nächtlichen Spaziergang gemacht hat. Aber jetzt mal die Schoko-Weihnachtsmänner und Raclette-Schälchen auf den Tisch - in welcher Familie ist Weihnachten denn wirklich auch nur annäherend wie in der Edeka- oder Coca Cola-Werbung? Die Realität sieht doch sooo unfassbar anders aus.
Essen wir am 24. Abends bei deinen Eltern? Aber vorher müssen wir mit meiner Familie noch in die Kirche! Ja, die 50km schaffen wir schon in der halben Stunde, vorher müssen wir aber noch die restlichen Geschenke einladen! Am 25. wartet dann meine Tante auf uns zum Mittag, sie hat doch extra wieder ihre tolle Ente gemacht und freut sich so, uns zu sehen. Zum Kaffee müssen wir aber dann bei Luise und Michael sein, die laden doch jedes Jahr die engsten Freunde dazu ein. Wie, wann bleibt mal Zeit für uns, zum Entspannen? Nee, nee, ich muss auch noch das Essen für den 26. vorbereiten, wenn unsere Eltern bei uns vorbeikommen, saubermachen muss ich auch noch, und überhaupt muss ich am 28. auch wieder arbeiten, aber hey, kein Problem, ich lass mich einfach von meinem Psychologen krankschreiben. Wird er eh empfehlen aufgrund des akuten Weihnachts-Burnouts. Also alles gut.
Na, kommt euch das bekannt vor? Sträubt euch nicht gegen die Wahrheit. So läuft es doch in den meisten Fällen ab. Vor allem für die Menschen, die nicht in der Nähe ihrer Familie wohnen, aber selbige eigene haben, artet Weihnachten meist in puren Stress aus. Das hat nichts mehr mit Heimeligkeit und Beisammensein zutun. Das ist ein Abarbeiten von Terminen, in denen die eigentliche Entspannung und der eigentliche Sinn von Weihnachten viel zu kurz kommt.
LADIES AND GENTS, THIS IS THE MOMENT YOU'VE WAITED FOR.
Nennt mich halt doch Grinch, wenn ihr wollt, aber ich hab vor allem auf den Moment gewartet, an dem ich endlich wieder im Bus saß - weg von meiner Familie, weg von der Heimat - hin zu meinem selbst gewählten Zuhause. Und das nicht etwa, weil ich ein schlechter Mensch bin. Aber seien wir mal ehrlich - für mindestens 80% der Menschen, die an Weihnachten nach Hause zu ihrer Familie zurückkehren, bedeutet das, in eine Welt zurückzukehren, in der sie möglicherweise niemals ganz sie selbst sein konnten. Es gibt einen Grund, warum wir das Elternhaus verlassen haben. Manchmal ist es nur ein Job gewesen, manchmal der Wille, auszubrechen, manchmal die Suche nach sich selbst. Manchmal ist es alles auf einmal. Und dann sitzt man plötzlich wieder auf dem elterlichen Sofa und muss feststellen, dass nicht nur diese zwei Menschen sondern die ganze Familie noch in den genau gleichen schädlichen Verhaltensmustern feststecken, wie vor sechs Jahren. Während sich die eigene Welt in diesen sechs Jahren so sehr verändert hat, wie es nur irgend möglich war. Und während man in dieser Zeit so sehr dafür gekämpft hat, seine eigene Gefühlswelt, sich selbst endlich zu akzeptieren, sitzt man dann auf diesem Sofa und fühlt sich beinahe gefangen in diesen imaginären Rückblenden, in denen man nie so sein konnte, wie man wirklich ist.
Und so ist Weihnachten doch gerade für uns - die aus der Heimat "Geflohenen" - so oft eine Rückkehr in eine Welt, die in nur wenigen Tagen in der Lage ist, unsere ganze selbst aufgebaute so starke und neue Gefühlswelt...naja, zumindest anzukratzen.
Und ich schäme mich nicht, zuzugeben, dass ich mich plötzlich wieder frei fühlte, als ich endlich im Zug saß und wusste, dass ich wieder in meine eigene Welt zurückkehren kann, die für mich so unfassbar viel realer und authentischer ist. In meine Welt, in der ich in den vergangenen Monaten endlich gelernt habe, mich selbst allmählich so zu akzeptieren, wie ich bin.
Aber weil ich so sehr auf Ironie und Sarkasmus stehe, noch eine kleine Weihnachtsankedote: An Heiligabend hat mich mein Opa mit "Na Dicke" begrüßt, machte später noch einen Kommentar über meinen Bauch. An sich berechtigt, denn leider hab ich ziemlich zugenommen. Das ist aber gar nicht das Problem, das ist sein Humor. Der entscheidende Moment war, als er herzlich lachte, nachdem ich meinte, halb im Ernst, halb im großelterlichen Spaß, dass ich doch sensibel bin. Er hat gelacht, ganz ehrlich und natürlich, hat auf ein Bild gedeutet, das meine Großeltern in ihrem Wohnzimmer stehen haben. Darauf strahle ich lachend in die Kamera. Und er lacht, schaut mich an und sagt "Du und sensibel?" Und ich wusste, er meinte es ernst. Und das war einer von so manchen Momenten, in denen so sehr deutlich wird, dass selbst meine so sehr geliebten Großeltern keine Ahnung haben, was ich wirklich für ein Mensch bin. Denn für sie bin ich immer die starke Enkelin, die schon ihren Weg in Berlin geht, hauptsache, sie machen sich keine Sorgen um mich. Aber es war einmal mehr ein Zeichen, dass ich in meiner Familie nie der Mensch würde sein können, der ich wirklich bin.
Und nun frag mich noch mal jemand, warum ich nicht Edeka-Werbung-excited war, zu Weihnachten meine Familie zu besuchen.