Der Gemüsehändler
Als gerade an Iwans Gemüsestand nichts los war, nahm er sein Buch, strich über den Einband und schlug es auf. Er begann zu lesen, doch nach wenigen Seiten wurde er von einer Kundin gestört.
„Sie lesen Effi Briest?,“ fragte eine junge Frau lächelnd und nahm ihre Sonnenbrille ab. Sie trug einen großen Strohhut und ein Sommerkleid, das ihr bis zu den Knöcheln reichte.
„Ehm, äh ja,“ sagte Iwan, schlug das Buch zu und stand auf.
„Und gefällt es ihnen?“
„Ich, ich hab gerade erst angefangen... Bin mir noch nicht sicher.“
„Ich mag es sehr. Ich finde, es hat durchaus etwas Romantisches.“
„Ja, äh, das hat es wohl,“ sagte Iwan etwas verlegen.
„Lesen Sie gerne?“
„Jeden Sonntag,“ sagte Iwan, „Unter der Woche habe ich keine Zeit.“
Sein Gegenüber lächelte.
„Lesen Sie gerne?,“ beeilte sich Iwan hinzuzufügen.
„Ja, an meinen freien Tagen,“ sagte sie.
Iwan wollte sie gerne nach ihrem Namen fragen, doch er hatte Angst, es wäre unangebracht. Also fragte er sie nicht.
Die junge Frau kaufte einen Kilo Kartoffeln und 250 Gramm Möhren und erzählte, dass sie daraus heute einen Gratin machen würde. Dann verließ sie den Gemüsestand, und Iwan schaute ihr nach.
Den Sonntag darauf las Iwan Nachtzug nach Lissabon von Pascal Mercier. Es war ein dickes Buch. Dafür würde er bestimmt mehrere Sonntage brauchen.
Er hoffte, heute wieder die Frau vom letzten Mal zu sehen, doch sie kam nicht. Mehrmals stellte Iwan sich vor, sie würde an seinen Stand kommen und ihn auf das Buch ansprechen. Er überlegte sich, was er sagen könnte, damit er Eindruck hinterlassen würde.
Als er am Ende des Tages seinen Stand wieder abbaute, war er sehr enttäuscht. Wenn er doch wenigstens nach ihrem Namen gefragt hätte.
Den nächsten Sonntag war viel zu tun und er kam nicht dazu sein Buch weiterzulesen. Auch heute hoffte er die Frau, deren Name er nicht kannte, würde wieder an seinen Stand kommen. Sein Wunsch sollte sich erfüllen.
„Hallo, du,“ sagte sie zur Begrüßung.
Iwan lächelte über das ganze Gesicht. Er konnte gar nicht anders, weil er sich so sehr freute.
„Wie ist eigentlich dein Name?,“ fragte sie.
Er war froh, dass sie ihn nach dem Namen fragte, dann konnte er sie auch nach ihrem fragen.
„Ich heiße Iwan,“ sagte er freudestrahlend, „Wie heißt du?“
„Phoebe.“
„Das ist wirklich ein schöner Name,“ sagte Iwan.
„Danke,“ sagte Phoebe, „Was liest du heute?“
Iwans Blick huschte zu dem Buch, in dem er heute noch keine einzige Seite gelesen hatte.
„Nachtzug nach Lissabon.“
„Ah!,“ sagte Phoebe entzückt, „Das ist ein wirklich schönes Buch.“
Iwan hatte sich so viel zurechtgelegt, was er über das Buch sagen könnte, um Phoebe in ein Gespräch zu verwickeln. Doch nun, wo sie direkt vor ihm stand, hatte er alles vergessen. Er wollte ihr so gerne eine Stelle aus dem Buch vorlesen. Das kam ihm nun furchtbar lächerlich und kindisch vor. Also sagte er nichts.
Phoebe kaufte einen Salatkopf, Tomaten, Paprika und eine Gurke und erzählte, dass sie heute einen gemischten Salat machen würde. Dann verließ sie den Gemüsestand, und Iwan schaute ihr nach.
Iwan zehrte die ganze Woche von dem Glück, dass er verspürte, seitdem er Phoebe wiedergesehen hatte. Er nahm sich vor, wenn er sie das nächste Mal sah, sie auf einen Kaffee einzuladen oder sie wenigstens etwas länger in ein Gespräch zu verwickeln.
Am Sonntag war er gespannt wie ein Flitzebogen, doch das Schicksal war ihm nicht wohl gesonnen. Phoebe tauchte nicht auf. Iwan hatte wenig Kundschaft und machte schlechte Umsätze. Das einzig Gute war, dass er genug Zeit hatte sein Buch zu Ende zu lesen.
Die nächsten Wochen liefen die Geschäfte wieder etwas besser, aber Phoebe hatte er schon seit Jule Vernes “In achtzig Tagen um die Welt”, Mary Shelleys “Frankenstein” und Thomas Manns “Tonio Kröger” nicht mehr gesehen.Von Sonntag zu Sonntag wurde er melancholischer. Er stellte sich immer wieder vor, dass Phoebe ganz unverhofft doch noch auftauchen würde, aber das tat sie nicht. Selbst die Freude am Lesen verblasste. Er las innerhalb von vier Sonntagen Kleists “Der zerbrochene Krug” und das war wirklich kein dickes Buch. Iwan las manchmal nur wenige Zeilen und legte dann das Buch auf die Seite und verlor sich in seinen Gedanken an Phoebe.
Nach zwei Monaten sah er sie wieder. Iwan bediente gerade einen Kunden, da sah er sie auf seinen Stand zukommen. Sein Herz begann zu rasen. Heute musste er seine Chance nutzen! Wer weiß, wie lange er sie sonst wieder nicht sehen würde!
„Hallo, Iwan,“ sagte Phoebe, als dieser seinen Kunden zu Ende bedient hatte.
„Hallo,“ sagte er und wieder musste er lächeln wie ein kleiner Junge. Es ratterte in seinem Kopf. Er musste schnell etwas sagen, bevor sie wieder ging.
„Hab dich lang' nicht mehr gesehen,“ sagte er etwas unbeholfen.
„Jaah, das stimmt,“ sagte Phoebe, „Ich war mit meinem Freund im Urlaub.“
Iwan spürte, wie ihm das Herz in die Hose rutschte. Er versuchte, sein Lächeln aufrecht zu erhalten.
„Dein Freund?“
„Ja, wir kennen uns noch gar nicht lange. Nach zwei Wochen hat er mich gefragt, ob wir nicht zusammen für einen Monat nach Südamerika wollen. Ich fand es so aufregend, da habe ich ja gesagt. Verrückt, oder?“
„Ja, verrückt,“ sagte Iwan mit belegter Stimme.
Sein Lächeln war verschwunden. Er war enttäuscht und wusste, dass es seine eigene Schuld war. Er hätte sie auf eine Reise nach Südamerika einladen sollen. Iwan sagte nichts mehr.
Phoebe kaufte Zucchini, Tomate, Aubergine, Paprika und Lauchzwiebeln und erzählte, dass sie heute einen Gemüseauflauf machen würde. Dann verließ sie den Gemüsestand, und Iwan schaute ihr nach.
Als gerade an Iwans Gemüsestand nichts los war, nahm er sein Buch, strich über den Einband und schlug es auf. Er begann zu lesen, doch nach wenigen Seiten wurde er von einer Kundin gestört.
„Sie lesen Effi Briest?,“ fragte eine junge Frau lächelnd und nahm ihre Sonnenbrille ab. Sie trug einen großen Strohhut und ein Sommerkleid, das ihr bis zu den Knöcheln reichte.
„Ehm, äh ja,“ sagte Iwan, schlug das Buch zu und stand auf.
„Und gefällt es ihnen?“
„Ich, ich hab gerade erst angefangen... Bin mir noch nicht sicher.“
„Ich mag es sehr. Ich finde, es hat durchaus etwas Romantisches.“
„Ja, äh, das hat es wohl,“ sagte Iwan etwas verlegen.
„Lesen Sie gerne?“
„Jeden Sonntag,“ sagte Iwan, „Unter der Woche habe ich keine Zeit.“
Sein Gegenüber lächelte.
„Lesen Sie gerne?,“ beeilte sich Iwan hinzuzufügen.
„Ja, an meinen freien Tagen,“ sagte sie.
Iwan wollte sie gerne nach ihrem Namen fragen, doch er hatte Angst, es wäre unangebracht. Also fragte er sie nicht.
Die junge Frau kaufte einen Kilo Kartoffeln und 250 Gramm Möhren und erzählte, dass sie daraus heute einen Gratin machen würde. Dann verließ sie den Gemüsestand, und Iwan schaute ihr nach.
Den Sonntag darauf las Iwan Nachtzug nach Lissabon von Pascal Mercier. Es war ein dickes Buch. Dafür würde er bestimmt mehrere Sonntage brauchen.
Er hoffte, heute wieder die Frau vom letzten Mal zu sehen, doch sie kam nicht. Mehrmals stellte Iwan sich vor, sie würde an seinen Stand kommen und ihn auf das Buch ansprechen. Er überlegte sich, was er sagen könnte, damit er Eindruck hinterlassen würde.
Als er am Ende des Tages seinen Stand wieder abbaute, war er sehr enttäuscht. Wenn er doch wenigstens nach ihrem Namen gefragt hätte.
Den nächsten Sonntag war viel zu tun und er kam nicht dazu sein Buch weiterzulesen. Auch heute hoffte er die Frau, deren Name er nicht kannte, würde wieder an seinen Stand kommen. Sein Wunsch sollte sich erfüllen.
„Hallo, du,“ sagte sie zur Begrüßung.
Iwan lächelte über das ganze Gesicht. Er konnte gar nicht anders, weil er sich so sehr freute.
„Wie ist eigentlich dein Name?,“ fragte sie.
Er war froh, dass sie ihn nach dem Namen fragte, dann konnte er sie auch nach ihrem fragen.
„Ich heiße Iwan,“ sagte er freudestrahlend, „Wie heißt du?“
„Phoebe.“
„Das ist wirklich ein schöner Name,“ sagte Iwan.
„Danke,“ sagte Phoebe, „Was liest du heute?“
Iwans Blick huschte zu dem Buch, in dem er heute noch keine einzige Seite gelesen hatte.
„Nachtzug nach Lissabon.“
„Ah!,“ sagte Phoebe entzückt, „Das ist ein wirklich schönes Buch.“
Iwan hatte sich so viel zurechtgelegt, was er über das Buch sagen könnte, um Phoebe in ein Gespräch zu verwickeln. Doch nun, wo sie direkt vor ihm stand, hatte er alles vergessen. Er wollte ihr so gerne eine Stelle aus dem Buch vorlesen. Das kam ihm nun furchtbar lächerlich und kindisch vor. Also sagte er nichts.
Phoebe kaufte einen Salatkopf, Tomaten, Paprika und eine Gurke und erzählte, dass sie heute einen gemischten Salat machen würde. Dann verließ sie den Gemüsestand, und Iwan schaute ihr nach.
Iwan zehrte die ganze Woche von dem Glück, dass er verspürte, seitdem er Phoebe wiedergesehen hatte. Er nahm sich vor, wenn er sie das nächste Mal sah, sie auf einen Kaffee einzuladen oder sie wenigstens etwas länger in ein Gespräch zu verwickeln.
Am Sonntag war er gespannt wie ein Flitzebogen, doch das Schicksal war ihm nicht wohl gesonnen. Phoebe tauchte nicht auf. Iwan hatte wenig Kundschaft und machte schlechte Umsätze. Das einzig Gute war, dass er genug Zeit hatte sein Buch zu Ende zu lesen.
Die nächsten Wochen liefen die Geschäfte wieder etwas besser, aber Phoebe hatte er schon seit Jule Vernes “In achtzig Tagen um die Welt”, Mary Shelleys “Frankenstein” und Thomas Manns “Tonio Kröger” nicht mehr gesehen.Von Sonntag zu Sonntag wurde er melancholischer. Er stellte sich immer wieder vor, dass Phoebe ganz unverhofft doch noch auftauchen würde, aber das tat sie nicht. Selbst die Freude am Lesen verblasste. Er las innerhalb von vier Sonntagen Kleists “Der zerbrochene Krug” und das war wirklich kein dickes Buch. Iwan las manchmal nur wenige Zeilen und legte dann das Buch auf die Seite und verlor sich in seinen Gedanken an Phoebe.
Nach zwei Monaten sah er sie wieder. Iwan bediente gerade einen Kunden, da sah er sie auf seinen Stand zukommen. Sein Herz begann zu rasen. Heute musste er seine Chance nutzen! Wer weiß, wie lange er sie sonst wieder nicht sehen würde!
„Hallo, Iwan,“ sagte Phoebe, als dieser seinen Kunden zu Ende bedient hatte.
„Hallo,“ sagte er und wieder musste er lächeln wie ein kleiner Junge. Es ratterte in seinem Kopf. Er musste schnell etwas sagen, bevor sie wieder ging.
„Hab dich lang' nicht mehr gesehen,“ sagte er etwas unbeholfen.
„Jaah, das stimmt,“ sagte Phoebe, „Ich war mit meinem Freund im Urlaub.“
Iwan spürte, wie ihm das Herz in die Hose rutschte. Er versuchte, sein Lächeln aufrecht zu erhalten.
„Dein Freund?“
„Ja, wir kennen uns noch gar nicht lange. Nach zwei Wochen hat er mich gefragt, ob wir nicht zusammen für einen Monat nach Südamerika wollen. Ich fand es so aufregend, da habe ich ja gesagt. Verrückt, oder?“
„Ja, verrückt,“ sagte Iwan mit belegter Stimme.
Sein Lächeln war verschwunden. Er war enttäuscht und wusste, dass es seine eigene Schuld war. Er hätte sie auf eine Reise nach Südamerika einladen sollen. Iwan sagte nichts mehr.
Phoebe kaufte Zucchini, Tomate, Aubergine, Paprika und Lauchzwiebeln und erzählte, dass sie heute einen Gemüseauflauf machen würde. Dann verließ sie den Gemüsestand, und Iwan schaute ihr nach.