Dienstag, 18.09.2018
Kommunikation statt Panik
Oh Boy, der erste Blog-Eintrag meines Lebens. Ich habe so viele erste Male mit Seite4, das ist schon fast unanständig. Ich bin ein "Autor", dessen Texte kaum von dessen Familie und Freunden gelesen werden und außerdem zu feige, meine Arbeiten mal einem Verlag zu zeigen. Zudem ich darf diesen Text nur schreiben, weil ich das Vergnügen habe, Redaktionsmitglied bei Seite4 zu sein. Nur, damit das schon mal geklärt ist und du weißt, dass ich nur bedingt qualifiziert bin, über das Folgende zu sprechen. Interessiert dich, was so eine Person, ein erfolgloser "Autor" in einer viel zu langen und viel zu persönlichen Abhandlung über das Schreiben zu erzählen hat? Ja? Okay, deine Entscheidung. Sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.
Menschen, die gerne schreiben und Literaturwissenschaft, Germanistik oder eine andere Disziplin, welche das geschriebene Wort gewissermaßen als Forschungsschwerpunkt hat, studieren, werden folgendes Szenario möglicherweise kennen. In der Schule wart ihr vielleicht die einzigen Schreiberlinge. Freunde und Familie waren möglicherweise beeindruckt von eurer Fähigkeit, mit Worten umzugehen. Die Deutschlehrer*innen haben eure literarischen Ergüsse mit Freude gelesen und euch ermutigt, immer weiter zu schreiben und euch versichert, dass ihr Potenzial habt. Ihr beginnt euer Studium, weil ihr gerne schreibt und lest, seid furchtbar aufgeregt und hofft, noch mehr über das Schreiben und Texte an sich zu lernen. Stattdessen quält ihr euch aber durch die ersten Mittelhochdeutsch-Seminare. Irgendwann kommt ihr mit Kommiliton*innen ins Gespräch und stellt fest: Ihr habt euren Sonderstatus als Schreiberling verloren. Jede Person, mit der ihr sprecht, schreibt aktiv oder hat Ambitionen, das zu tun. Manche gehen auf Lesungen und tragen ihre Texte auf einer Bühne vor, andere haben sogar schon veröffentlicht. Rückblickend betrachtet frage ich mich ernsthaft, warum mich die schiere Menge an Schreibenden in einem Literaturstudium so dermaßen überrascht hat. Vielleicht lag es daran, dass ich in meinem Umfeld stets so ziemlich der einzige war, der wirklich ernsthaft geschrieben hat und die Hoffnung hatte, dass irgendwann mal jemanden interessiert, was ich zu erzählen habe. Blauäugig wie ich war, stellte ich also überrascht fest, dass sämtliche Kommiliton*innen, mit denen ich über das Thema Schreiben gesprochen habe, selbst schreiben. Lediglich die Regelmäßigkeit und Intention variiert bisweilen sehr extrem. Stellt sich natürlich die Frage: Wie bin ich mit der Erkenntnis umgegangen, dass ich von lauter Gleichgesinnten umgeben bin? Die sehr komplexe Antwort möchte ich an dieser Stelle vereinfachen, indem ich sie auf einen dreieinhalb Phasen umfassenden Prozess herunterbreche. Ja, ich weiß, ich habe mir zu viele Gedanken darüber gemacht. Zurechtweisung angekommen. Danke. Ihr dürft jetzt weiterlesen.
Phase 1: Panik. (Verliere ich einen Teil meiner Individualität, wenn sich mein alltägliches Umfeld derartig verschiebt, dass ich stets von Menschen umgeben bin, die das Gleiche tun wie ich? Verschwinde ich da nicht vielleicht in der Masse? Bin ich noch bedeutungsloser als ich befürchtet habe?)
Phase 2: Verzweiflung. (Wenn es schon allein nur an dieser Uni so viele Menschen gibt, die auch schreiben, wie soll ich denn einen Verlag davon überzeugen, dass meine Texte es wert sind, gelesen zu werden? Wie soll ich mich in dieser Menge an Schreibenden mit potenzieller Autor*innenambition behaupten?)
Phase 2a: Verzweiflung 2.0. (Jetzt habe ich einige Texte von Kommiliton*innen gelesen. Heilige Hekate, sie schreiben alle viel besser als ich, obwohl ich gefühlt 400 Jahre älter bin als sie. Ich bin so untalentiert, man sollte mir verbieten, jemals wieder die metaphorische Feder in die Hand zu nehmen.)
Phase 3: Chancen sehen und lernen. (Drama-Hirn und Ego bezähmt. Krise abgewendet. Mal sehen, was sich für Möglichkeiten bieten.)
Jemand mit einem etwas stabileren Selbstbewusstsein reagiert sicher entspannter. Diese Gedanken, die mir da durch den Kopf gingen, wirken außerhalb ebendieses Kopfes sehr drastisch, aber ich bin wirklich dankbar, dass ich sie hatte – denn sie sind Teil eines Prozesses, der mir die Augen geöffnet hat.
Seit etwa anderthalb Jahren befinde ich mich jetzt in Phase 3 und ich sage euch: Die Möglichkeiten, die sich mir eröffnet haben sind wirklich großartig. Im letzten Jahr habe ich wirklich viel über mich, mein Schreiben, meinen Literaturkonsum und meine Art, mich literarisch Auszudrücken, gelernt.
Wie kam es zu diesem Lernprozess? Luise, die Initiatorin von Seite4, hat mich gefragt, ob ich beim Magazin in der Redaktion mitarbeiten will. Ich mag Luise und die Idee klang wirklich cool. Also ging ich auf das Angebot ein und die bereits bestehende Redaktion mochte meine bisherigen literarischen Ergüsse genug, um mich aufzunehmen. Die intensive Auseinandersetzung mit Texten von Menschen, die ich kenne, hat eine Menge mit meiner Sichtweise auf das Schreiben als Tätigkeit und auch mit meiner Rezeption gemacht.
Die wohl größte Veränderung: Ich mag nun Gedichte. Sicher nicht alle. Aber generell kann ich sagen, dass ich ob des Pathos nicht mehr genervt mit den Augen rolle, wenn man mir Lyrik vorsetzt. Nennt mich einen Banausen, aber ich konnte mit Gedichten nichts anfangen. Ich erinnere mich, dass mir ein Kommilitone mal einen Youtube-Kanal empfohlen hat, der meine Meinung ändern sollte. Ich wollte mir den Kanal nicht mal ansehen, weil der Gedanke, Zeit aus meinem Tag zu nehmen, um mich mit diesen prätentiösen, pathetischen Texten zu befassen, mir nicht wirklich zugesagt hat. Dann habe ich die Hintergründe und Gesichter zu einigen lyrischen Texten von neugewonnenen Uni-Freunden gesehen. Daran ist natürlich zu einem großen Teil meine Mitarbeit an Seite4 verantwortlich, denn Lyrik ist ein großer Bestandteil unserer Inhalte. Und siehe da: Ich begann, selbst Gedichte zu schreiben. Hätte mir jemand vor zwei Jahren gesagt, dass ich irgendwann Lyrik produzieren würde ... ich hätte dieser Person vermutlich einen etwas zu leidenschaftlichen Vortrag darüber gehalten, warum Prosa der Lyrik überlegen ist. Ich fühle mich zwar in der Lyrik noch immer nicht so sehr zu Hause und habe das Gefühl, dass meine Lyrik noch ausbaufähiger ist als meine Prosa. Zu lernen gibt es für mich aber in allen Bereichen des Schreibens vermutlich mehr, als ich überblicken kann. Die erworbene Offenheit gegenüber Gedichten hat jedoch meine Welt vergrößert und meinen Möglichkeiten des kreativen Outputs eine neue Tür geöffnet.
Eine weitere wichtige Lektion, die mich die intensive Auseinandersetzung mit Texten gelehrt hat ist folgende: Kunst ist in jeder Form schlicht und ergreifend Geschmackssache. Jede*r wird von unterschiedlichen Dingen berührt, denn jeder Mensch hat einen anderen Hintergrund, eine andere Geschichte und andere Interessen. Entweder das Kunstwerk (im Falle von Seite4 meist Texte oder Fotografien) resoniert mit den Rezipierenden, weil sie eine Saite in ihnen anklingen lässt oder eben nicht. Diese Erkenntnis klingt einfach oder offensichtlich. Aber als kreative Person, die schreibt und viel Zeit aufwendet und bisweilen schmerzhafte Ereignisse im eigenen Leben aus der Erinnerungskiste im Oberstübchen kramt und sich im vergangen Leid suhlt, um Texte zu schreiben ... verliere ich diese Perspektive manchmal. Und ich gehe davon aus, dass ich nicht der einzige bin. Nicht jede*r wird jeden deiner Texte mögen, denn Menschen reagieren unterschiedlich auf verschiedene Reize. Deal with it. Ich mag auch nicht jeden meiner Texte.
Eine weitere Lektion: Nicht alles, was wir als Schreibende produzieren, ist gut. Und das ist voll okay. Zudem ist "gut" zumindest bis zu einem gewissen Grad einigermaßen subjektiv. Klar, so eine Prise Sprachgewandtheit ist beim Schreiben sicher nicht hinderlich – aber die kommt auch durch Übung irgendwann von allein. Hoffentlich. Wenn nicht, ist Gärtnern auch eine schöne Beschäftigung. Mittlerweile konzentriere ich mich beim Schreiben einfach darauf, was ich sagen will und wie ich es sagen will und schreibe nicht notwendigerweise mit einem Fokus à la "Ich will etwas Gutes produzieren". Am Ende gibt es einen Text. Ob der etwas taugt, ist mir persönlich beim Schreibprozess selbst in letzter Zeit immer egaler geworden. Ich will etwas ausdrücken und entweder es ist literarisch gesehen brauchbar oder nicht. Jeder Text, ob gut, schlecht, irgendwie merkwürdig oder total bescheuert, ist für mich ein kleiner Schritt hin zu dem Autor, der ich irgendwann mal sein soll, wenn ich groß bin. Zu dieser Erkenntnis bin ich hauptsächlich deshalb gelangt, weil ich vor meiner Zeit bei Seite4 eigentlich nur Prosa in Romanlänge geschrieben habe. Das ist für Seite4 natürlich unpassend, also fing ich an, Kurzgeschichten, Essays und Gedichte zu schreiben. Drei mir bis dato völlig “unbeschriebene” Formate, bei denen ganz andere Dinge wichtig sind als bei Romanen. Die Arbeit an großen Projekten hat mir nie die Perspektive ermöglicht, das Schreiben eines einzelnen Textes als Teil einer Entwicklungsreise zu sehen. Ein Gedicht lässt sich leichter als eine Art Übung oder notwendiger Fehler betrachten als ein Roman mit zweihunderttausend Wörtern. Deshalb empfehle ich dringend, auch mal etwas Kleines zu verfassen, auch wenn mensch eigentlich lieber Romane schreibt.
Abschließend sei gesagt: Wenn du jemanden findest, der/die besser (oder auch nur anders) schreibt als du, erspare dir vielleicht die Phasen 1 und 2. Sprich mit der Person darüber, wie jede*r von euch das Schreiben sieht, redet über eigene und fremde Texte und sei offen für Gedanken und Erkenntnisse, die sich daraus ergeben. Kommunikation statt Panik. :)
Oh Boy, der erste Blog-Eintrag meines Lebens. Ich habe so viele erste Male mit Seite4, das ist schon fast unanständig. Ich bin ein "Autor", dessen Texte kaum von dessen Familie und Freunden gelesen werden und außerdem zu feige, meine Arbeiten mal einem Verlag zu zeigen. Zudem ich darf diesen Text nur schreiben, weil ich das Vergnügen habe, Redaktionsmitglied bei Seite4 zu sein. Nur, damit das schon mal geklärt ist und du weißt, dass ich nur bedingt qualifiziert bin, über das Folgende zu sprechen. Interessiert dich, was so eine Person, ein erfolgloser "Autor" in einer viel zu langen und viel zu persönlichen Abhandlung über das Schreiben zu erzählen hat? Ja? Okay, deine Entscheidung. Sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.
Menschen, die gerne schreiben und Literaturwissenschaft, Germanistik oder eine andere Disziplin, welche das geschriebene Wort gewissermaßen als Forschungsschwerpunkt hat, studieren, werden folgendes Szenario möglicherweise kennen. In der Schule wart ihr vielleicht die einzigen Schreiberlinge. Freunde und Familie waren möglicherweise beeindruckt von eurer Fähigkeit, mit Worten umzugehen. Die Deutschlehrer*innen haben eure literarischen Ergüsse mit Freude gelesen und euch ermutigt, immer weiter zu schreiben und euch versichert, dass ihr Potenzial habt. Ihr beginnt euer Studium, weil ihr gerne schreibt und lest, seid furchtbar aufgeregt und hofft, noch mehr über das Schreiben und Texte an sich zu lernen. Stattdessen quält ihr euch aber durch die ersten Mittelhochdeutsch-Seminare. Irgendwann kommt ihr mit Kommiliton*innen ins Gespräch und stellt fest: Ihr habt euren Sonderstatus als Schreiberling verloren. Jede Person, mit der ihr sprecht, schreibt aktiv oder hat Ambitionen, das zu tun. Manche gehen auf Lesungen und tragen ihre Texte auf einer Bühne vor, andere haben sogar schon veröffentlicht. Rückblickend betrachtet frage ich mich ernsthaft, warum mich die schiere Menge an Schreibenden in einem Literaturstudium so dermaßen überrascht hat. Vielleicht lag es daran, dass ich in meinem Umfeld stets so ziemlich der einzige war, der wirklich ernsthaft geschrieben hat und die Hoffnung hatte, dass irgendwann mal jemanden interessiert, was ich zu erzählen habe. Blauäugig wie ich war, stellte ich also überrascht fest, dass sämtliche Kommiliton*innen, mit denen ich über das Thema Schreiben gesprochen habe, selbst schreiben. Lediglich die Regelmäßigkeit und Intention variiert bisweilen sehr extrem. Stellt sich natürlich die Frage: Wie bin ich mit der Erkenntnis umgegangen, dass ich von lauter Gleichgesinnten umgeben bin? Die sehr komplexe Antwort möchte ich an dieser Stelle vereinfachen, indem ich sie auf einen dreieinhalb Phasen umfassenden Prozess herunterbreche. Ja, ich weiß, ich habe mir zu viele Gedanken darüber gemacht. Zurechtweisung angekommen. Danke. Ihr dürft jetzt weiterlesen.
Phase 1: Panik. (Verliere ich einen Teil meiner Individualität, wenn sich mein alltägliches Umfeld derartig verschiebt, dass ich stets von Menschen umgeben bin, die das Gleiche tun wie ich? Verschwinde ich da nicht vielleicht in der Masse? Bin ich noch bedeutungsloser als ich befürchtet habe?)
Phase 2: Verzweiflung. (Wenn es schon allein nur an dieser Uni so viele Menschen gibt, die auch schreiben, wie soll ich denn einen Verlag davon überzeugen, dass meine Texte es wert sind, gelesen zu werden? Wie soll ich mich in dieser Menge an Schreibenden mit potenzieller Autor*innenambition behaupten?)
Phase 2a: Verzweiflung 2.0. (Jetzt habe ich einige Texte von Kommiliton*innen gelesen. Heilige Hekate, sie schreiben alle viel besser als ich, obwohl ich gefühlt 400 Jahre älter bin als sie. Ich bin so untalentiert, man sollte mir verbieten, jemals wieder die metaphorische Feder in die Hand zu nehmen.)
Phase 3: Chancen sehen und lernen. (Drama-Hirn und Ego bezähmt. Krise abgewendet. Mal sehen, was sich für Möglichkeiten bieten.)
Jemand mit einem etwas stabileren Selbstbewusstsein reagiert sicher entspannter. Diese Gedanken, die mir da durch den Kopf gingen, wirken außerhalb ebendieses Kopfes sehr drastisch, aber ich bin wirklich dankbar, dass ich sie hatte – denn sie sind Teil eines Prozesses, der mir die Augen geöffnet hat.
Seit etwa anderthalb Jahren befinde ich mich jetzt in Phase 3 und ich sage euch: Die Möglichkeiten, die sich mir eröffnet haben sind wirklich großartig. Im letzten Jahr habe ich wirklich viel über mich, mein Schreiben, meinen Literaturkonsum und meine Art, mich literarisch Auszudrücken, gelernt.
Wie kam es zu diesem Lernprozess? Luise, die Initiatorin von Seite4, hat mich gefragt, ob ich beim Magazin in der Redaktion mitarbeiten will. Ich mag Luise und die Idee klang wirklich cool. Also ging ich auf das Angebot ein und die bereits bestehende Redaktion mochte meine bisherigen literarischen Ergüsse genug, um mich aufzunehmen. Die intensive Auseinandersetzung mit Texten von Menschen, die ich kenne, hat eine Menge mit meiner Sichtweise auf das Schreiben als Tätigkeit und auch mit meiner Rezeption gemacht.
Die wohl größte Veränderung: Ich mag nun Gedichte. Sicher nicht alle. Aber generell kann ich sagen, dass ich ob des Pathos nicht mehr genervt mit den Augen rolle, wenn man mir Lyrik vorsetzt. Nennt mich einen Banausen, aber ich konnte mit Gedichten nichts anfangen. Ich erinnere mich, dass mir ein Kommilitone mal einen Youtube-Kanal empfohlen hat, der meine Meinung ändern sollte. Ich wollte mir den Kanal nicht mal ansehen, weil der Gedanke, Zeit aus meinem Tag zu nehmen, um mich mit diesen prätentiösen, pathetischen Texten zu befassen, mir nicht wirklich zugesagt hat. Dann habe ich die Hintergründe und Gesichter zu einigen lyrischen Texten von neugewonnenen Uni-Freunden gesehen. Daran ist natürlich zu einem großen Teil meine Mitarbeit an Seite4 verantwortlich, denn Lyrik ist ein großer Bestandteil unserer Inhalte. Und siehe da: Ich begann, selbst Gedichte zu schreiben. Hätte mir jemand vor zwei Jahren gesagt, dass ich irgendwann Lyrik produzieren würde ... ich hätte dieser Person vermutlich einen etwas zu leidenschaftlichen Vortrag darüber gehalten, warum Prosa der Lyrik überlegen ist. Ich fühle mich zwar in der Lyrik noch immer nicht so sehr zu Hause und habe das Gefühl, dass meine Lyrik noch ausbaufähiger ist als meine Prosa. Zu lernen gibt es für mich aber in allen Bereichen des Schreibens vermutlich mehr, als ich überblicken kann. Die erworbene Offenheit gegenüber Gedichten hat jedoch meine Welt vergrößert und meinen Möglichkeiten des kreativen Outputs eine neue Tür geöffnet.
Eine weitere wichtige Lektion, die mich die intensive Auseinandersetzung mit Texten gelehrt hat ist folgende: Kunst ist in jeder Form schlicht und ergreifend Geschmackssache. Jede*r wird von unterschiedlichen Dingen berührt, denn jeder Mensch hat einen anderen Hintergrund, eine andere Geschichte und andere Interessen. Entweder das Kunstwerk (im Falle von Seite4 meist Texte oder Fotografien) resoniert mit den Rezipierenden, weil sie eine Saite in ihnen anklingen lässt oder eben nicht. Diese Erkenntnis klingt einfach oder offensichtlich. Aber als kreative Person, die schreibt und viel Zeit aufwendet und bisweilen schmerzhafte Ereignisse im eigenen Leben aus der Erinnerungskiste im Oberstübchen kramt und sich im vergangen Leid suhlt, um Texte zu schreiben ... verliere ich diese Perspektive manchmal. Und ich gehe davon aus, dass ich nicht der einzige bin. Nicht jede*r wird jeden deiner Texte mögen, denn Menschen reagieren unterschiedlich auf verschiedene Reize. Deal with it. Ich mag auch nicht jeden meiner Texte.
Eine weitere Lektion: Nicht alles, was wir als Schreibende produzieren, ist gut. Und das ist voll okay. Zudem ist "gut" zumindest bis zu einem gewissen Grad einigermaßen subjektiv. Klar, so eine Prise Sprachgewandtheit ist beim Schreiben sicher nicht hinderlich – aber die kommt auch durch Übung irgendwann von allein. Hoffentlich. Wenn nicht, ist Gärtnern auch eine schöne Beschäftigung. Mittlerweile konzentriere ich mich beim Schreiben einfach darauf, was ich sagen will und wie ich es sagen will und schreibe nicht notwendigerweise mit einem Fokus à la "Ich will etwas Gutes produzieren". Am Ende gibt es einen Text. Ob der etwas taugt, ist mir persönlich beim Schreibprozess selbst in letzter Zeit immer egaler geworden. Ich will etwas ausdrücken und entweder es ist literarisch gesehen brauchbar oder nicht. Jeder Text, ob gut, schlecht, irgendwie merkwürdig oder total bescheuert, ist für mich ein kleiner Schritt hin zu dem Autor, der ich irgendwann mal sein soll, wenn ich groß bin. Zu dieser Erkenntnis bin ich hauptsächlich deshalb gelangt, weil ich vor meiner Zeit bei Seite4 eigentlich nur Prosa in Romanlänge geschrieben habe. Das ist für Seite4 natürlich unpassend, also fing ich an, Kurzgeschichten, Essays und Gedichte zu schreiben. Drei mir bis dato völlig “unbeschriebene” Formate, bei denen ganz andere Dinge wichtig sind als bei Romanen. Die Arbeit an großen Projekten hat mir nie die Perspektive ermöglicht, das Schreiben eines einzelnen Textes als Teil einer Entwicklungsreise zu sehen. Ein Gedicht lässt sich leichter als eine Art Übung oder notwendiger Fehler betrachten als ein Roman mit zweihunderttausend Wörtern. Deshalb empfehle ich dringend, auch mal etwas Kleines zu verfassen, auch wenn mensch eigentlich lieber Romane schreibt.
Abschließend sei gesagt: Wenn du jemanden findest, der/die besser (oder auch nur anders) schreibt als du, erspare dir vielleicht die Phasen 1 und 2. Sprich mit der Person darüber, wie jede*r von euch das Schreiben sieht, redet über eigene und fremde Texte und sei offen für Gedanken und Erkenntnisse, die sich daraus ergeben. Kommunikation statt Panik. :)